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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Bashaarats Worte vernahm, war mir, als würde ich das Gleichgewicht verlieren. »Ihr habt das getan?«, fragte ich ihn. »Ihr seid hindurchgegangen?«
    »Das bin ich, wie auch viele meiner Kunden.«
    »Vorhin habt Ihr mir gesagt, ich wäre der Erste, dem Ihr dieses Portal zeigt.«
    »Dieses Tor hier, ja. Aber ich habe viele Jahre lang ein Geschäft in Kairo betrieben, wo ich erstmals ein ›Tor der Jahre‹ gebaut habe. Dort gab es viele, denen ich das Tor zeigte und die es benutzt haben.«
    »Was haben diese Leute erfahren, als sie mit ihrem älteren Ich gesprochen haben?«
    »Jeder Mensch erfährt etwas anderes. Wenn Ihr es wünscht, dann erzähle ich Euch von einem solchen Zeitreisenden.« Bashaarat begann, mir eine Geschichte zu erzählen, und wenn es Eurer Majestät gefällt, will ich sie hier wiedergeben.
     
    Die Geschichte des glücklichen Seilers
     
    Es war einmal ein junger Mann mit Namen Hassan, ein Seiler. Er trat durch das ›Tor der Jahre‹, um Kairo in zwanzig Jahren zu sehen, und wie er dort ankam, staunte er, wie prächtig die Stadt gediehen war. Es kam ihm so vor, als hätte er die Szenerie eines gestickten Wandteppichs betreten, und obwohl die Stadt nicht mehr und nicht weniger als Kairo war, bestaunte er die gewöhnlichsten Dinge wie Wunder.
    Er kam am Zuweyla-Tor vorbei, wo die Schwerttänzer und Schlangenbeschwörer auftreten, als ein Astrologe ihn ansprach: »Junger Mann! Wollt Ihr Eure Zukunft erfahren?«
    Hassan lachte. »Die kenne ich bereits«, sagte er.
    »Ich wollt doch sicherlich wissen, ob Euch Wohlstand erwartet, oder?«
    »Ich bin Seiler. Ich weiß, dass ich nicht reich werde.«
    »Könnt Ihr Euch da so sicher sein? Was ist mit dem angesehenen Kaufmann Hassan al-Hubbaul, der einst ein Seiler war?«
    Da seine Wissbegier geweckt war, fragte Hassan auf dem Markt nach anderen, die von diesem reichen Kaufmann gehört hatten, und fand heraus, dass sein Name allseits bekannt war. Man sagte ihm, dieser Kaufmann wohne im vornehmen Habbaniya-Viertel der Stadt, und so ging Hassan dorthin und fragte die Menschen nach dem Haus des Kaufmanns, und wie sich herausstellte, war es das größte Gebäude des Viertels.
    Er klopfte an die Tür, und ein Diener führte ihn in einen großen und schön eingerichteten Vorraum mit einem Brunnen in seiner Mitte. Während der Diener den Herrn des Hauses holte, wartete Hassan, doch als er all das polierte Elfenbein und den Marmor um sich sah, fühlte er sich in dieser prächtigen Umgebung fehl am Platze und wollte das Haus schon verlassen, als sein älteres Ich eintrat.
    »Endlich bist du da!«, sagte der Mann. »Ich habe dich erwartet.«
    »Habt Ihr das?«, sagte Hassan erstaunt.
    »Selbstverständlich, denn ich habe mein älteres Ich besucht, so wie du mich besuchst. Das ist schon so lange her, dass ich den genauen Tag vergessen habe. Komm, speise mit mir.«
    Die beiden gingen in das Esszimmer, wo ihnen Diener mit Pistazien gefüllte Hühnchen, in Honig getränktes Schmalzgebäck und geröstetes Lamm mit Granatäpfeln servierten. Der ältere Hassan erzählte nur wenige Einzelheiten aus seinem Leben: Er erwähnte seine vielfältigen Geschäftsinteressen, sagte aber nichts darüber, wie er Kaufmann geworden war; er erwähnte seine Frau, sagte aber, dass es noch nicht an der Zeit für den jüngeren Hassan sei, sie kennenzulernen. Stattdessen bat er den jungen Hassan, ihm von den Streichen zu erzählen, die er als Kind angestellt hatte, und lachte über die Geschichten, die in seinem Gedächtnis verblasst waren.
    Schließlich fragte der jüngere Hassan den älteren: »Wie habt Ihr es vollbracht, das Schicksal zu Euren Gunsten zu wenden und so vermögend zu werden?«
    »Alles, was ich dir im Augenblick erzählen will, ist dies: Wenn du auf den Markt gehst, um Hanf zu kaufen, und dabei der Straße der Schwarzen Hunde folgst, dann gehe nicht die Südseite der Straße entlang, wie du es sonst zu tun pflegst. Gehe die Nordseite entlang.«
    »Und das wird mir ermöglichen, mich über meinen Stand zu erheben?«
    »Tue einfach, was ich dir sage. Geh jetzt nach Hause zurück, du musst Seile machen. Du wirst wissen, wann du mich wieder besuchen sollst.«
    Der junge Hassan kehrte in seine Zeit zurück und tat, wie ihm geheißen, und er blieb auf der Nordseite der Straße, auch wenn es dort keinen Schatten gab. Einige Tage später wurde er Zeuge, wie ein wild gewordenes Pferd auf der Südseite der Straße, ihm genau gegenüber, durchging, mehrere Leute trat, einen Mann

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