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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Ihr eure Waren?«
    »Ich danke Euch für die lobenden Worte«, sagte er. »Alles, was Ihr hier seht, wurde in meiner Werkstatt hergestellt, von mir selbst oder unter meiner Anleitung von meinen Gehilfen.«
    Ich war beeindruckt, dass dieser Mann in derart vielen Künsten so wohlbewandert war. So befragte ich ihn zu den verschiedenen Instrumenten in seinem Laden und lauschte seinen gelehrten Ausführungen über Astrologie, Mathematik, Geomantik und Medizin. Über eine Stunde lang unterhielten wir uns, und wie eine Blume im Morgengrauen erblühten meine Faszination und mein Respekt für ihn, bis er seine alchemistischen Experimente erwähnte.
    »Alchemie?«, sagte ich. Ich war überrascht, denn er schien mir nicht zu den Menschen zu gehören, die derart betrügerischen Unternehmungen nachgingen. »Ihr meint, Ihr könnt unedles Metall in Gold verwandeln?«
    »Das kann ich, mein Herr, doch das ist es nicht, was die meisten sich von der Alchemie erhoffen.«
    »Was erhoffen sich die meisten denn davon?«
    »Sie trachten nach einem billigeren Weg, Gold zu gewinnen, als Erz aus der Erde zu schürfen. Die Alchemie kennt einen Weg, Gold herzustellen, doch die Prozedur ist so beschwerlich, dass das Graben im Berg im Vergleich dazu so einfach erscheint wie das Pflücken eines Pfirsichs.«
    Ich schmunzelte. »Eine kluge Erwiderung. Niemand könnte bezweifeln, dass Ihr ein gelehrter Mann seid, doch bin ich nicht so unklug, die Alchemie ernst zu nehmen.«
    Bashaarat sah mich an und dachte einen Moment nach. »Erst kürzlich habe ich etwas gebaut, das Eure Meinung vielleicht zu ändern vermag. Ihr wäret der Erste, dem ich es zeigen würde. Möchtet Ihr es sehen?«
    »Das wäre mir eine große Freude.«
    »Bitte folgt mir.« Er führte mich durch die Tür in den hinteren Teil des Ladens. Der sich anschließende Raum war eine Werkstatt, in der sich Vorrichtungen befanden, deren Sinn und Zweck ich nicht zu erraten vermochte – Metallstangen, die mit so viel Kupferdraht umwickelt waren, dass er abgerollt bis zum Horizont gereicht hätte, kreisrunde Spiegel mit Granitrahmen, die in Quecksilber schwammen –, doch Bashaarat ging an alldem vorbei, ohne einen Blick darauf zu werfen.
    Stattdessen führte er mich zu einem massiven brusthohen Sockel, auf dem hochkant ein breiter Metallreif aufgestellt war. Die Öffnung des Reifs war so breit wie zwei ausgestreckte Hände und sein Rand so dick, dass es dem stärksten Mann große Mühe bereitet hätte, ihn zu tragen. Das Metall war schwarz wie die Nacht, doch so sorgfältig poliert, dass es als Spiegel hätte dienen können, wäre es von anderer Farbe gewesen. Bashaarat forderte mich auf, mich so hinzustellen, dass ich den Reif von der Seite betrachtete, während er sich zur Öffnung begab.
    »Bitte passt genau auf«, sagte er.
    Bashaarat streckte den Arm von rechts durch den Reif, doch er ragte auf der linken Seite nicht heraus. Stattdessen sah es so aus, als wäre sein Arm am Ellenbogen abgeschnitten worden, und er hob und senkte den Stumpf – und zog seinen Arm unversehrt wieder heraus.
    Ich hatte nicht erwartet, dass ein derart gelehrter Mann einen Zaubertrick zum Besten geben würde, aber die Darbietung war gut ausgeführt gewesen, und so applaudierte ich höflich.
    »Nun wartet einen Augenblick«, sagte er und trat einen Schritt zurück.
    Ich wartete, und siehe da, aus der linken Seite des Reifs streckte sich ein körperloser Arm, dessen Ärmel zu dem Gewand, das Bashaarat trug, passte. Der Arm hob und senkte sich ebenfalls und zog sich dann in den Reif zurück, bis er ganz verschwunden war.
    Den ersten Trick hatte ich noch für eine raffinierte Täuschung gehalten, doch diese Darbietung übertraf sie bei Weitem, denn Sockel und Reif waren zu schmal, als dass sich jemand hätte darin verbergen können. »Sehr raffiniert!«, rief ich begeistert.
    »Ich danke Euch, aber was Ihr gesehen habt, war kein einfacher Taschenspielertrick. Die rechte Seite des Reifs ist der linken um einige Sekunden voraus. Durch den Reif zu greifen bedeutet, dass man diese Zeitspanne unverzüglich überspringt.«
    »Ich verstehe nicht ganz«, sagte ich.
    »Lasst mich die Demonstration wiederholen.« Wieder streckte er seinen Arm durch den Reif, und der Arm verschwand. Er lächelte und bewegte seinen Arm vor und zurück, als zöge er an einem Seil. Dann ließ er den Arm wieder aus dem Reif auftauchen und zeigte mir seine offene Handfläche. In ihr lag ein Ring, den ich gut kannte.
    »Das ist mein Ring!« Ich sah

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