Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
auf meine Hand und stellte fest, dass sich mein Ring immer noch an meinem Finger befand. »Ihr habt ein Duplikat herbeigezaubert.«
»Nein, das ist wirklich Euer Ring. Wartet.«
Wiederum streckte sich ein Arm aus der linken Seite des Reifs. In dem Wunsch, dem Mechanismus auf die Schliche zu kommen, eilte ich hinüber und packte die Hand. Es war keine künstliche Hand, sondern sie war so warm und lebendig wie meine. Ich zog an der Hand, und sie widersetzte sich mir. Mit der Geschicklichkeit eines Taschendiebs streifte die Hand mir den Ring vom Finger, und der Arm verschwand wieder im Reif, bis er nicht mehr zu sehen war.
»Mein Ring ist weg!«, rief ich.
»Nein, mein Herr«, sagte er. »Hier ist Euer Ring.« Und er gab mir den Ring, den er in der Hand hielt. »Verzeiht mir diese Spielerei.«
Ich steckte mir den Ring an den Finger. »Ihr hattet diesen Ring, bevor er mir genommen wurde.«
In diesem Augenblick streckte sich ein Arm aus dem Reif, diesmal auf der rechten Seite. »Was ist das!«, rief ich aus. Wiederum erkannte ich, bevor sich der Arm zurückzog, am Ärmel, dass es Bashaarats Arm war, aber ich hatte nicht gesehen, dass er ihn durch den Reif gestreckt hatte.
»Erinnert euch«, sagte er, »die rechte Seite des Ringes ist der linken voraus.« Und er ging auf die linke Seite des Reifs und streckte seinen Arm von dort aus hindurch, und wieder verschwand der Arm.
Eure Majestät hat es zweifellos längst begriffen, doch mir wurde es damals erst in diesem Moment klar: Was auch immer auf der rechten Seite des Reifs geschah, wurde einige Sekunden später durch ein Ereignis auf der linken Seite ergänzt. »Ist das Zauberei?«, fragte ich.
»Nein, mein Herr. Ich bin niemals einem Dschinn begegnet, und wenn, würde ich nicht darauf vertrauen, dass er tut, was ich ihm auftrage. Was Ihr hier seht, ist eine Form von Alchemie.«
Er erklärte es mir, erzählte davon, wie er nach winzigen Poren in der Haut der Wirklichkeit gesucht hatte, den Löchern gleich, welche Würmer in das Holz fressen, und wie er, nachdem er ein solches Loch gefunden hatte, es vergrößert hatte, so wie ein Glasbläser einen Klumpen geschmolzenen Glases zu einer langhalsigen Röhre zu formen vermag, und wie er darin die Zeit auf der einen Seite wie Wasser fließen und sich auf der anderen Seite wie Sirup verdicken lassen konnte. Ich muss gestehen, dass ich seine Worte nicht ganz verstand und für ihre Glaubwürdigkeit nicht bürgen kann. Alles, was ich zu antworten wusste, war: »Ihr habt fürwahr etwas wirklich Erstaunliches geschaffen.«
»Ich danke Euch«, sagte er. »Doch das ist nur ein Vorspiel zu dem, was ich Euch eigentlich vorführen will.« Er bat mich, ihm nach hinten zu folgen. Dort stand, aufgerichtet in der Mitte eines Raumes, ein kreisförmiges Portal, dessen massiver Rahmen aus dem gleichen glänzenden schwarzen Metall gemacht war wie der des Reifs.
»Eben habe ich Euch das ›Tor der Sekunden‹ gezeigt«, sagte er. »Dies hier ist das ›Tor der Jahre‹. Die beiden Seiten der Öffnung trennt eine Zeitspanne von zwanzig Jahren.«
Ich muss gestehen, dass ich diese Bemerkung nicht sogleich verstand. Ich stellte mir vor, wie er seinen Arm auf der rechten Seite des Tors hineinstreckte und zwanzig Jahre wartete, bis er links wieder erschien. Das schien mir ein sehr eigenartiger Zaubertrick zu sein. Das sagte ich ihm, und er lachte. »Das wäre eine Möglichkeit, sich des Tores zu bedienen«, sagte er, »aber bedenkt, was geschehen würde, wenn Ihr durch das Portal hindurchginget.« Er stand auf der rechten Seite, bedeutete mir näherzutreten und zeigte dann auf die Portalöffnung. »Schaut.«
Ich blickte hindurch und sah, dass sich auf der anderen Seite offenbar andere Teppiche und Kissen befanden, als ich beim Betreten des Raumes gesehen hatte. Ich bewegte meinen Kopf hin und her und stellte fest, dass ich, wenn ich durch das Portal blickte, einen anderen Raum sah als den, in dem ich gerade stand.
»Ihr seht den Raum, wie er in zwanzig Jahren sein wird«, sagte Bashaarat.
Ich blinzelte, so wie jemand, der ein Trugbild in der Wüste sieht, doch das, was ich sah, veränderte sich nicht. »Und Ihr sagt, ich könnte hindurchgehen?«, fragte ich.
»Das könntet Ihr. Und mit diesem Schritt würdet Ihr das Bagdad von in zwanzig Jahren besuchen. Ihr könntet Euer älteres Selbst ausfindig machen und Euch mit ihm unterhalten. Danach könntet Ihr durch das ›Tor der Jahre‹ in die heutige Zeit zurückkehren.«
Als ich
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