Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
Ausatmen nicht endet, leben meine Gedanken weiter.
Damit unsere Gedanken so lange wie möglich fortbestehen, entwerfen Anatomieforscher und Mechaniker neue Regler für unsere Gehirne – Regler, die in der Lage sein sollen, den Luftdruck in unseren Gehirnen nach und nach zu steigern, sodass er stets etwas höher ist als der uns umgebende Luftdruck. Sind diese neuen Ventile erst einmal eingebaut, werden unsere Gedanken in etwa mit der gleichen Geschwindigkeit weiterarbeiten, selbst wenn um uns herum die Luft immer dichter wird. Das bedeutet aber nicht, dass das Leben unverändert weitergehen wird, denn schließlich wird es soweit kommen, dass der Druckunterschied so stark abfällt, dass unsere Gliedmaßen schwach und unsere Bewegungen träge werden. Wir könnten dann versuchen, unsere Gedanken zu verlangsamen, damit wir unsere körperliche Erstarrung nicht so deutlich wahrnehmen. Das hätte allerdings zur Folge, dass sich das, was in der Welt passiert, aus unserer Sicht beschleunigen würde. Das Ticken von Uhren wird dann zu einem fortwährenden Klappern anschwellen, während Pendel hektisch hin und her schwingen; fallende Gegenstände werden wie von Federkraft nach unten geschleuderte Projektile auf dem Boden einschlagen; Wellenbewegungen werden an Kabeln entlangrasen wie Peitschenschläge.
Unsere Arme und Beine werden irgendwann gänzlich aufhören, sich zu bewegen. Über die genaue Reihenfolge der Geschehnisse kurz vor dem Ende bin ich mir nicht im Klaren, aber ich stelle mir vor, dass wir weiterhin denken, also bei Bewusstsein, aber völlig erstarrt sein werden, so bewegungslos wie Statuen. Vielleicht werden wir dann noch für eine Weile sprechen können, denn unser Kehlkopf arbeitet mit geringerem Druck als unser Körper. Wenn wir uns jedoch nicht mehr zu einer Füllstation begeben können, wird jede Äußerung die Luftmenge verringern, die uns für das Denken zur Verfügung steht, und uns dem Augenblick näher bringen, da auch unsere Gedanken vollständig versiegen. Wird es dann besser sein zu schweigen, um noch eine Weile denken zu können, oder zu reden bis zum bitteren Ende? Ich weiß es nicht.
Vielleicht wird es einigen von uns, bevor wir uns nicht mehr bewegen können, gelingen, die Reglerventile unserer Gehirne direkt an eine Füllstation anzuschließen und damit die eigene Lunge durch die große Lunge unserer Welt zu ersetzen. In diesem Falle würden diese wenigen bei Bewusstsein bleiben bis zu jenem allerletzten Augenblick, bevor der vollständige Druckausgleich eintritt. Der letzte Rest des Luftdrucks in unserem Universum würde dafür aufgewendet werden, die Gedanken einer Person anzutreiben.
Unser Universum wird sich dann im Zustand des vollkommenen Gleichgewichts befinden. Alles Leben und alles Denken wird aufhören und damit auch die Zeit selbst.
Ich hege jedoch eine vage Hoffnung.
Unser Universum mag in sich geschlossen sein, aber womöglich ist es nicht die einzige Luftkammer in der grenzenlosen Weite der Chromlandschaft. Ich stelle mir vor, dass es irgendwo noch eine weitere Luftblase gibt, ein anderes Universum als das Unsrige, eines, das sogar noch größer ist. Es könnte doch sein, dass in diesem hypothetischen anderen Universum der gleiche oder ein noch höherer Luftdruck als in unserem Universum besteht. Aber einmal angenommen, dort herrscht ein weit niedrigerer Luftdruck, vielleicht sogar ein absolutes Vakuum!
Das Chrom, das uns von diesem möglicherweise vorhandenen Nachbaruniversum trennt, können wir nicht durchbohren, dafür ist es zu dick und zu hart. Deshalb können wir nicht dorthin gelangen oder überschüssigen Druck dorthin ableiten, um unsere Antriebskraft wiederherzustellen. Aber ich erlaube mir die Vorstellung, dass dieses Nachbaruniversum ebenfalls bewohnt ist, und zwar von Leuten, deren Fertigkeiten die unseren übertreffen. Was wäre, wenn es ihnen gelänge, eine Verbindung zwischen unseren beiden Universen herzustellen und Ventile zu installieren, mit denen man Luft aus unserem Universum ablassen kann? Vielleicht werden sie unser Universum als Speicher nutzen, um ihre eigenen Lungen aufzufüllen, und unsere Luft dazu verwenden, ihre eigene Zivilisation anzutreiben.
Es bereitet mir Freude, mir auszumalen, wie die Luft, die einst mich antrieb, andere mit Energie versorgen könnte, und daran zu glauben, dass der Atem, der es mir ermöglicht hat, diese Worte zu gravieren, eines Tages durch den Körper eines anderen strömt. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass
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