Die hölzerne Hedwig
Auch auf Ihr Gesicht.«
»Ich hoffe, es hat sich für Sie gelohnt.«
»Doch, war ein schönes Erlebnis.«
Die Nachricht von Bordons Ermordung hatte sich innerhalb einer Stunde bis ins letzte Haus von Hammerloh herumgesprochen. Niemand
war unbeeindruckt geblieben, dafür lebte man zu dicht nebeneinander. Auch wenn die meisten nie ein Wort mit dem finsteren
Rumänen gewechselt hatten, war er ihnen nicht gleichgültig gewesen. Er hatte ja eine Frau gehabt und er hatte sie nicht geschlagen.
Das war schon viel, und weil Irena ein freundliches Wesen gezeigt hatte, konnte ihr Mann kein Ungeheuer gewesen sein. Sie
hatte ja auch nicht verängstigt gewirkt. Schläge hatte sie keine erhalten, die Spuren hätte man entdeckt. »Das können Sie
zu den Akten nehmen«, knurrte die alte Karolina. »Keine Schläge, keine |53| Blutergüsse, keine unnatürliche Körperhaltung. Keine Kleidung, die den Zweck hat, Wunden zu verdecken.«
Sie hatte am Anfang nicht ausgeschlossen, dass Bordon seine Frau schlug. Sie kannte die Männer und war zu alt, um Grausamkeiten
auszuschließen. Letztlich malte sie ein herziges Bild des Paares und sagte: »Ich beneide Sie nicht um Ihren Job. Dass sie
es nicht war, ist ja klar. Und einen richtigen Verdächtigen haben Sie nicht.«
»Sagt Ihnen der Name Marvin Graf etwas?«
»Nein. Sollte er?«
»Es würde erklären, wer Sie so umfassend informiert hat.«
»Ich weiß doch gar nichts!«, rief sie. »Mit einer alten Frau wie mir redet doch niemand.«
»Auch keiner aus dem Dorf?«
»Auch nicht.«
»Auch keiner, der beruflich viel weiß?«
»Wo denken Sie hin?«
»Und wenn ich den Kollegen Graf in die Enge treibe und ihm mit furchtbaren Strafen drohe, über die wir bei der Polizei bekanntlich
verfügen?«
»Dann natürlich.«
»Na, sehen Sie. Warum nicht gleich so?«
»Ich bin gar nicht dazu gekommen, ihn auszufragen. Er ist ja so eine furchtbare Plaudertasche. Der fängt schneller an zu reden,
als du weghören kannst. Wird er jetzt immer noch bestraft?«
»Darüber werde ich nachdenken. Sie könnten einiges dafür tun, dass er mit einer strengen Ermahnung davonkommt.«
So erfüllte Marvins lockeres Mundwerk doch noch einen guten Zweck. Die alte Karolina war zeitweise geneigt, das |54| Spiel der Namensvetterin mitzuspielen. In gleichmäßigem Tempo flossen die Erinnerungen. Als der Fluss zu versiegen drohte,
verlieh ihm die Kommissarin mit der Kenntnis über die Vaterschaft bzw. Nicht-Vaterschaft des Mädchens neuen Elan.
»Nicht gut«, murmelte die Hebamme, »kein guter Start für das Würmchen.«
Dass niemand der schwangere Leib aufgefallen war, wunderte die Expertin nicht. »Manchmal explodiert der Bauch, manchmal ist
die Wölbung so zart, dass du glaubst, ein kräftiger Furz wird die Sache in Ordnung bringen.«
Irena hatte keine Kleider getragen, die Verdacht erregen mussten, Nichts Wallendes, nichts, was man vorher nie an ihr gesehen
hatte. Und sie war nie zur alten Hebamme gekommen, um Rat zu erfragen? Kein Kontakt. Gesetzt den Fall, Irena wäre nicht krankenversichert
gewesen … Dann hätte sie gerne kommen können. Keine Hebamme fragt nach der Versicherung. Und wenn sie etwas weiß, was in diesem
ordentlichen Land ungewöhnlich ist, wird sie der Frau trotzdem beistehen. Hebammen gibt es schon tausend Jahre, lange bevor
es die erste Krankenversicherung gab.
Mit wem die Bordons Kontakt im Dorf hatten? Er war sich selbst genug, seine Kragenweite waren die wenigen Halbwüchsigen; wenn
er die traf, sah er hin. Bei allen anderen sah er weg. Aber eng? Nie, mit niemand. Er war auch nicht so oft auf Reisen, dass
man auf ein diskret geführtes zweites Leben tippen mochte.
»Ich glaube, er war erschöpft, als er hier ankam und er brauchte Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen. Irena? Das war ein
anderer Schuh.« Eine Frau würde verkümmern, würde |55| sie ein Leben wie Bordon führen. Irena verließ häufig das Haus, hielt sich im Garten auf, war ansprechbar und sprach auch
selbst an. Die Episode mit der Putzfrauentätigkeit bedeutete nichts. Es hatte einfach nicht zusammen gepasst. Irena war zu
lebendig für die alten Leute, die aus ihrem Haus flohen, bevor sie mittwochs zum Saubermachen kam. Bei der Unterstellung mit
den Diebstählen handelte es sich um eine Gemeinheit, wie sie hier vorkam. Im Grunde hatten alle einen Vorteil davon, denn
nun konnte man die bedrückende Situation endlich im gegenseitigen Einvernehmen auflösen. Weitere
Weitere Kostenlose Bücher