Die hölzerne Hedwig
Dienstleistungen? Nicht für
Geld. Den Schwestern Täuber hatte Irena im Garten geholfen, Bordon auch. Dass er mit nacktem Oberkörper Stubben aus dem Boden
geholt hatte, war ein Ereignis, das alle gern hörten und sich noch lieber ansahen. Bevor Bordon an besagtem Nachmittag den
Garten verlassen hatte, waren so viele Bewohner am Zaun entlangpromeniert wie seit Jahren nicht.
Und sonst? Nein, Irena hatte den Ort fast nie verlassen. Ja, sie konnte Auto fahren.
Wie hatten die Bordons überleben können, wenn sie offensichtlich keine Einkünfte erzielten?
»So kann nur jemand aus der Stadt fragen.«
»Sie werden mir nicht erzählen wollen, dass man sich hier von Luft und Liebe ernährt.«
»Wäre das nicht schön?«
»Ich höre.«
Sie hörte den Vortrag einer erfahrenen Frau, die 70 Jahre auf dem Land gelebt hatte und wusste, wie stark man seine finanziellen
Zwänge zurückfahren kann. Die Bordons hatten keine Miete gezahlt, das wusste man im Dorf. Sie hatten sich, |56| solange sie hier lebten, kein Kleidungsstück gekauft. Wahrscheinlich waren sie nicht krankenversichert und zahlten in keinen
Topf ein, mit dem die Deutschen ihre Angst vor der Zukunft betäuben. Steuern null, kostspielige Hobbys null. Was repariert
werden musste, reparierte Bordon. An Strom konnten nicht mehr als 20 Euro im Monat angefallen sein. Hatte es einen Fernseher
gegeben? Dann hatten sie schwarz geguckt, die Antenne auf dem Dach war nicht unsichtbar. So blieben Essen und Trinken. Wenn
man sich beim Discounter versorgte, kam man mit 150 Euro im Monat hin. Wenn man ab und zu etwas im Dorf bekam und sein Stückchen
Land geschickt ausnutzte …
»Verstehe«, sagte die Kommissarin, »was immer das Kind sonst noch bedeuten mochte, es würde ihre Kosten in die Höhe treiben.
Man könnte sich also darum streiten, zumal wenn der Mann wusste oder annahm, er könne nicht der Vater sein.«
Die Kommissarin sortierte und notierte und war unzufrieden.
»Sie haben mir im Grunde nichts Neues erzählt«, sagte sie.
»Nichts? Na, sag bloß. Ich könnte ja auf die Schnelle was erfinden.«
Die Kommissarin brachte Macciato, den Hausbesitzer, ins Spiel. Den Namen wollte die Hebamme gehört haben, Näheres wusste sie
nicht.
»Mit wem haben Sie denn so über Internet Kontakt?«
Ohne Luft zu holen, schoss sie 32 Städtenamen ab. Von Dresden bis Australien, von Schweden bis nach Chile. Freundinnen, Kolleginnen,
Schülerinnen, Kinder, die sie auf die Welt gebracht hatte und zwei Kinder der Kinder. Hebammen, |57| die ihre Examensarbeiten schrieben, Autoren, die Bücher schrieben und alte Hebammen interviewten.
Die Kommissarin fragte: »Dann müssen Sie ja alle Zeitzonen im Kopf haben.«
»Wenn einer jünger ist als 70, nehme ich Rücksicht auf die Zeitverschiebung. Darüber nicht.«
Sie standen in der Speisekammer, die alte Karolina führte alles vor. Erst spielte sie die Bedeutung der Technik herunter,
dann wurde sie ehrlich: »Ich hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages von moderner Technik profitieren würde. Wissen Sie,
wie still es in so einem Ort sein kann? 20 Tage im Monat ist das ein Segen. Zehn Tage glaubst du, die Zeit hat sich verhakt
und kommt nicht mehr von der Stelle.«
Das war der Grund für die nüchterne Einrichtung und die sachlichen Anpflanzungen. Sie hatte gar keine Zeit für Gartenarbeit.
Sie wollte nichts mehr tun, was alle anderen taten. Vier Stunden am Tag flog sie durchs Internet. Jeden Tag, auch an Festtagen.
Sie hatte den Kirchgang am Heiligen Abend versäumt, weil sie sich mit einer Frau aus Mexiko festgeredet hatte. Sie hatte Pornoseiten
besucht und seltsame Spiele gespielt. Das eine fand sie lachhaft – lachhaft, nicht empörend – das andere fand sie überflüssig.
Aber sie fand es schön, Entdeckungen zu machen und sich auszutauschen. Sie litt nicht darunter, in Hammerloh zu wohnen. Sie
hätte ja fortziehen können – vom Entschluss bis zum letzten Karton, der in den Umzugswagen geschoben wurde, rechnete sie zehn
Tage. Nein, hier war es gut, sie hatte nichts auszustehen, alle gingen respektvoll mit ihr um, auch die Jungen. Die Jungen
sogar mehr als die Älteren. Niemand hatte etwas gegen Hebammen. »Hebamme ist wie Bundespräsident und |58| Franz Beckenbauer. Alle mögen dich, egal was für einen Quatsch du redest.«
Und ihre Nachfolgerin? Von der hielt sie wenig, zu fix bei allem, was sie tat. Pampig auch. »Wie der Pflegedienst. Kaum da,
schon wieder weg.« Aber sie gab
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