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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: zu KLAMPEN
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es gab keine Tür, er würde Gelegenheit finden,
     um einen Blick hinein zu werfen. Aber erst musste er zuhören, wie Dora die Briefe vorführte, die sie zugeschickt bekam. Auch
     heute noch, fast täglich war einer in der Post. Fast immer handschriftlich, Männer in den besten Jahren, einsam natürlich,
     sie baten um Autogramme, aber die Autogramme waren nur ein Vorwand, um an Fotos zu gelangen. Jeden Monat gab Dora über 100
     Euro für Briefmarken aus, denn ihr taten einsame Männer schrecklich leid, und wenn sie ihnen helfen …
    Bordon, bitte Bordon!
    Dazu wusste sie nichts. Vielleicht hatte sie mit ihm gesprochen. Vielleicht hatte er sie nach Hause begleitet. Möglich sei
     alles, man müsse das Leben jeden Tag leben, als wäre es der letzte. Seit ihrem Tauchunfall würde sie viel intensiver leben.
     Genaue Erinnerungen? Damit konnte sie nicht dienen, nicht mehr seit ihrem Tauchunfall. Seitdem sei nichts mehr wie |88| vorher. Sie erinnerte sich noch an viel, fast an alles. Aber manchmal würde sich ein Loch auftun, schwarz und groß, in das
     fiel sie hinein und dann war sie weg und dann schloss sich das Loch und alles war wieder gut, Aber es gab noch mehr Löcher
     und sie öffneten sich. Nicht jeden Tag, aber manchmal doch. Wie oft? Das wusste sie nicht, das lag an den Löchern, sie verhinderten,
     dass man über sie Auskunft geben konnte.
    Die Kommissarin sagte: »Sie regen mich auf. Wissen Sie das?«
    Dora verlangte nach Kassian. Er sollte neben ihr sitzen und ihre Hand halten. Dann würde sie sich sicherer fühlen. Aber Kassian
     hatten die Kommissare in weiser Voraussicht abgewimmelt. Bestimmt saß er draußen auf dem Sprung und wartete darauf, dass ohne
     ihn nichts mehr ging. Wann sie Bordon zuletzt gesehen hatte? Lebendig, um exakt zu sein? Also beim besten Willen … so viele
     Gesichter, so viele Eindrücke, jeder Tag sei wie eine Wundertüte, man wisse nicht, was er einem bringt. Was Bordon damals
     von ihr gewollt habe? Beim besten Willen …
    Die Kommissarin kündigte an, Dora untersuchen zu lassen. Man werde herausfinden, was körperliches Handicap sei und was schlichte
     Lüge. Dora war nicht beunruhigt. Wenn Irena in Doras Haus gewesen sei, dann vielleicht auch Bordon? Habe sie ihn auf eigenem
     Gelände gesehen? Kürzlich?
    Sie sahen Dora dabei zu, wie sie sich zu erinnern versuchte. Es war kein schöner Anblick, mit jeder Minute baute sie mehr
     ab. Es lag nicht am guten Willen, sie war eine Patientin, lebenslang.
    |89| Kassian, mit dem die Kommissare später sprachen, bestätigte ihre Befürchtungen. Wenn der Alltag leicht war und keine Überraschungen
     bereit hielt, bestand Dora alle Herausforderungen. Rituale waren gut für sie. War etwas anders als gestern und vorgestern,
     sprang sie aus dem Gleis. Ihre Erinnerung war nicht verloren gegangen, aber die Reihenfolge stimmte nicht mehr, sie war lange
     unter Wasser gewesen und war zu schnell aufgestiegen, Panik, jeder würde in Panik geraten. Hatte Dora Partner? Männer, mit
     denen sie näher bekannt war?
    Kassian leugnete nicht, mit Dora zusammen gewesen zu sein. Aber das sei Jahre her. Schön und vorbei. Geblieben seien Freundschaft
     und auf seiner Seite das starke Bedürfnis, sie zu beschützen. Würde Dora so bleiben oder würde sich ihr Zustand mit den Jahren
     verschlimmern? Anscheinend hofften die Ärzte das Beste, er selbst tat es erkennbar nicht. War sie denn überhaupt in ärztlicher
     Behandlung? Einmal im Jahr ging es steil bergab, dann brach alles zusammen: Blutdruck, Motorik, Kraft. Und die Erinnerung?
     Gab es Lücken? Gab es Tage, an denen sie nicht wusste, was sie gestern getan hatte? Oder erlebt?
    »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, sagte Kassian bedrückt. »Ich kann die Frage nicht beantworten, weil so etwas noch nicht
     vorgekommen ist.«
    Er hatte Dora den besten Neurologen vermittelt; der Experte hatte gesagt, dass es nicht mehr besser werde. Solange keine zweite
     Krankheit dazukäme, könne Dora ein Leben ohne Einschränkungen führen.
    »Diese Auftritte«, sagte Küchenmeister, »steht sie die durch?«
    |90| Problemlos, denn sie waren Teil ihres alten Lebens. Von dem alles präsent und abrufbar sei. Und ob sie leide? Nein. Sei ihr
     der Zustand bewusst? An manchen Tagen. Neigte sie dazu, aggressiv zu werden, ungeduldig, unberechenbar? »Nein. Nicht dass
     sie ein geduldiger Mensch wäre. Aber das war sie auch vorher nicht gewesen, nach allem, was man hört. Denn ich habe sie nie
     anders gekannt als heute.

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