Die hölzerne Hedwig
Und Bordons Leiche ist der Beweis, dass neben der Mutter auch ein Mann im Spiel war.«
»Falls es nicht Irena war, die ihn …«
Die Kommissarin funkelte ihn an. Demütig diente er als Blitzableiter. Zehn Prozent seines Gehalts betrachtete er insgeheim
als Schmerzensgeld.
»Jemand lügt uns an«, knurrte sie. »Sie lügen uns alle an. Und wir haben noch gar nicht mit allen gesprochen. Wir haben uns
einlullen lassen. Die alte Hebamme weiß mehr, als sie sagt. Die Schwestern lächeln so vielsagend. Und wieso |82| brauchen wir zwei Tage, bis es uns gelingt, eine WG aus alten Leuten vor die Flinte zu kriegen?«
»Streng genommen sind sie nicht …«
»Streng genommen! Streng genommen! Das hört jetzt auch auf, dieses Herumeiern. Ab jetzt nur noch kurze Aussagesätze. Subjekt,
Prädikat, Objekt! Wo steckt dieser Landpolizist? Hat den der Hund gefressen? War sowieso idiotisch, die Idee mit dem Hund.«
Sie funkelte Küchenmeister an und fauchte: »Sie denken jetzt an PMS! Ich sehe es Ihrem Gesicht an. Sie haben Ihren PMS-Ausdruck.
Das hört auch auf.«
Erbost ging sie vom Wagen fort, ging 50 Meter in den Wald, um dann kehrtzumachen.
Küchenmeister telefonierte Graf herbei. Der führte den Hund vor und gab unheimlich mit seinem Mut an. Der Hund sprang auf
Karolina zu und ließ sich den Kopf kraulen.
»So macht man das«, sagte Küchenmeister. »So hat sie das auch bei mir gemacht.«
Karolina ließ jetzt keine laxen Bemerkungen mehr zu und ordnete eine Krisensitzung an. Marvin war hingerissen.
»Krisensitzung«, sagte er verträumt. »Man kommt sich so wichtig vor dabei.«
Sie gingen durch, was sie hatten und was sie noch nicht hatten. Karolina verzieh ihren Mitarbeitern keine Schwächen, sich
selbst am wenigsten. Sie hatte als sicher angenommen, was noch nicht bewiesen war. Das durfte nicht passieren. Warum war es
passiert? Weil ein Baby im Spiel war? Und dieser Mutter-Kind-Kosmos, in dem sie sich nicht zu Hause fühlte? Weil sie im Blick
alter Hebammen Vorwürfe zu lesen |83| vermeinte, die dort wahrscheinlich überhaupt nicht vorhanden waren? Warum betrachtete sie die Hebamme nicht als natürliche
Verbündete? Wer war erfahrener auf diesem Gebiet? Wer sonst hatte so viel erlebt, alle Gefühlslagen und exotischen Verwicklungen?
Zu dritt mit Hund fielen sie bei der alten Karolina ein. Sie mussten warten, bis der gerade laufende Internet-Dialog beendet
war.
Karolina Pape drehte sich auf ihrem Stuhl um und sagte: »Das Kind ist nicht von ihr. Ich habe es gewusst.«
»Na wunderbar«, fauchte Karolina. »Gut, dass Sie es mir nicht verraten haben. Ich hätte die Information nervlich bestimmt
nicht vertragen.«
Mit pampigen Frauen hatte die alte Karolina Erfahrung. Sie stopfte ihnen das Maul mit Tee und Saft und zur Not mit einem Schnaps.
Sie sagte nichts, als plötzlich ein Hund auf ihrem Stuhl lag. Zum ersten Mal erlebte Karolina die Hebamme in ihrer Welt –
außerhalb eines Frage-Antwort-Spiels.
Sie setzten die alte Karolina ins Bild, ließen nichts aus und hielten nichts zurück. Die alte Frau hörte konzentriert zu,
stellte keine überflüssige Frage und sagte anschließend: »Der Unterschied zwischen eurer Arbeit und meiner ist der: Ich weiß
immer, was am Ende dabei herauskommen wird.«
Marvin wollte die Gelegenheit nutzen, um zu glänzen: »Vielleicht hat das alles überhaupt nichts mit Hammerloh zu tun. Vielleicht
haben sie hier nur gewohnt und alles, was wir für den Fall wissen müssen, kommt von außerhalb.«
»Du kannst einem Mut machen«, knurrte Küchenmeister. »Ist das angeboren oder muss man das mühsam lernen?«
|84| »Aber er hat Recht«, sagte die junge Karolina. »Das Kind beziehungsweise die schwangere Frau ist nicht von hier. Sie sind
mit einem Auto gekommen. Alles andere kann von hier stammen: der Mörder vor allem.«
»Und er muss nicht zwangsläufig männlich sein.«
Die alte Karolina hielt den verwunderten Blicken stand: »Was wollt ihr? Bin ich die Expertin für weibliche Gefühle oder nicht?
Ihr kommt alle aus der Männerwelt da draußen, bis auf den Kleinen. Der macht sich noch Illusionen. Der glaubt, Frauen sind
lieb und nett und mütterlich und wollen für Männer kochen und bügeln. In zehn Jahren wird er wissen, was sie statt dessen
wollen: abkochen und plattbügeln.«
Küchenmeister beugte sich zu seiner Kollegin: »Können wir sie nicht als freie Mitarbeiterin führen? Ich mag es, wie sie redet.«
»Warten Sie ab, bis sie
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