Die hölzerne Hedwig
Schwester?«, fragte Gertrud.
Brügge hatte mit der Liebe seines Chefs mehr Probleme gehabt als der verliebte Gockel, denn Brügge verdächtigte Gertruds abgelegten
Geliebten. Der besaß ein windelweiches Alibi, was nur nicht aufgefallen war, weil es damals von schlechten Alibis gewimmelt
hatte. Seit ein paar Monaten lebte Brügge jetzt im Dorf, am zweiten Abend hatte er mit Blumen vor der Tür gestanden. Man hatte
sich ausgesprochen und sich der gegenseitigen Rührung hingegeben. Viel Zeit war vergangen, man hatte sich verändert und war
nicht mehr so verbissen wie in jungen Jahren. Jedenfalls die Schwestern nicht. Über Brügges Ehrgeiz machten sich beide keine
Illusionen. |164| Auch diesmal dauerte es keine Viertelstunde, bis er beim Mordfall war, dem aktuellen.
In den letzten Tagen hatte sich der Streit zugespitzt. Irena und Bordon, die zuletzt schweigend nebeneinander hergelebt hatten,
gerieten sich plötzlich ständig in die Quere. Irena hatte die Nase von diesem Leben gestrichen voll. Sie hatte ihre alte Stadt
nicht verlassen, um hier zu versauern. Bordon war wie geschaffen, um in jeder Umgebung zurechtzukommen. Manisch bohrte und
hämmerte er sich durchs Haus, weil er dem Wahn anhing, auf versteckte Wertgegenstände zu stoßen. In jedem Dorf gab es einen
Narren, der von Schätzen faselte. Aber es brauchte einen zweiten Narren, um das Gerede ernst zu nehmen.
Sie brauchten Geld. Seit einem Jahr hatte sich Irena nichts zum Anziehen gekauft. Sie fuhr kaum noch in die Stadt, weil es
sie zornig machte, in den Schaufenstern unerreichbare Waren zu bestaunen. In einer Drogerie deckte sie sich mit Kosmetik ein,
während Bordon am anderen Ende des Geschäfts etwas fallen ließ und Aufmerksamkeit auf sich zog. Beim letzten Mal war sie um
ein Haar erwischt worden.
Bordon sehnte sich nach Geld. Er war nicht in den Westen gegangen, um hier noch entwürdigender zu leben als die einheimischen
Armen. Die vergangenen Monate hatte er genutzt, um den Markt zu sondieren. Wonach bestand die größte Nachfrage? Es durfte
nichts Legales sein, denn auf dem Gebiet ehrlicher Geschäfte konnte Bordon nicht mithalten. Es durfte auch nichts mit Mord
und Totschlag zu tun haben, dafür war Bordon nicht der Typ. Zuerst dachte er an Drogen, Verbindungen bestanden zu Leuten,
die Stoff abzweigten, der |165| über den Balkan ins Land kam. Aber in dieser Szene waren viele zornige Männer tätig, die töteten, um ihre verletzte Ehre wiederherzustellen.
Danach dachte er an Waffen. Bordon war kein Friedensengel, aber er wollte auf dem Bürgersteig gehen können, ohne sich im Schaufenster
zu vergewissern, wer ihm folgte.
So kam er auf die Kinder. In diesem Land existierte große Nachfrage nach Kindern. Bordon wunderte sich darüber, denn gleichzeitig
gab es zahllose Kinder, die vernachlässigt wurden. Das spielte sich in der gesellschaftlichen Klasse ab, mit der er nichts
zu tun haben wollte. Bordon kümmerte sich um Bürger mit Geld und ohne Kinder. Paare, die ein Kind wollten und es auf dem üblichen
Weg nicht hinkriegten. Weil er keine Verbindung zu solchen Kreisen besaß, wandte er sich an die WG im Dorf. Deren Bewohner
kannten sich im Bürgertum aus. Der Kontakt lief über den Schäfer, natürlich forderte er Geld, damit konnte Bordon leben. In
dieser Welt gab es nichts umsonst.
Es dauerte nur wenige Wochen, dann hatte sich Bordon mit dem ersten Paar geeinigt. Die Suche nach einer Frau, die ihr Baby
loswerden wollte, fiel ebenfalls in seine Zuständigkeit. Dies war der leichteste Teil der Arbeit, in jeder Minute wurde ein
Mädchen ungewollt schwanger. Für einige Geldscheine war sie zu einem Deal bereit. Sie musste niemanden berauben oder betrügen
und konnte sicher sein, dass es ihrem Kind gut gehen würde. Was konnte sich eine überforderte Mutter Besseres wünschen?
Die erste Schwangere kam ins Dorf und wurde bei den Schwestern untergebracht. In jungen Jahren hatten sie zwei Appartements
im Nebengebäude eingerichtet – für Touristen, |166| die dann nie erschienen waren. Irena durfte von Bordons Aktivitäten nichts wissen, er war nicht sicher, wie sie reagieren
würde. Bordon fürchtete Irenas Zorn und Grundsätze.
Eine Hebamme stand bereit, im Dorf gab es sogar zwei. Sie musste ihren Job machen und keine Fragen stellen. Dafür gab es Geld.
Der Termin der Geburt verzögerte sich um einige Tage. Zeit genug für einen Mann aus dem Dorf, sich mit der Schwangeren
Weitere Kostenlose Bücher