Die hölzerne Hedwig
Quartier.
Mitten in der Nacht standen Hebamme und Schwangere vor der Hütte der Bordons. Sophia fand alles zu eng, die alte Karolina
hielt den Kulturschock für eine Lektion in Demut. Bordon quartierte sie kurzerhand aus, er würde genug Betten kennen und sollte
sich bloß nicht anstellen. Der Schwangeren handelte sie eine Summe ab, die die Bordons nicht ablehnen konnten.
|155| Irena und Sophia gewöhnten sich schnell aneinander, am zweiten Abend waren sie Freundinnen.
Einmal klingelte es, Ev Salomon auf ihrer Bekehrungsrunde. Jeder im Dorf kannte das, sie war nervtötend, aber Zeugen Jehovas
und Scherenschleifer waren auch nervtötend. Sophia deutete auf ihren Bauch, den Ev segnete.
Nachmittags setzten die Wehen ein, wie auf Bestellung stand Mutter Wolzoff vor der Tür. Hatte die alte Karolina ihre kupplerischen
Hände im Spiel gehabt? Jetzt ging es nur darum, Sophia die nächsten Stunden leichtzumachen. Gastgeberin Irena verbreitete
Ruhe, das tat allen wohl. Eine Stunde umschlichen sich Mutter und Tochter, bevor sie sich in den Armen lagen. Irena ging so
lange nach draußen und warf mit Äpfeln nach flinken Igeln.
Die alte Karolina stieß dazu, Mutter Wolzoff wirkte eingeschüchtert. Man saß am Küchentisch, die Elterngeneration frischte
Erinnerungen auf. Vor 30 Jahren hatte die alte Karolina der ersten Schwangerschaft der Wolzoff einen Riegel vorgeschoben.
Damals war die junge Frau vom Bergischen Land nach Niedersachsen geflüchtet, wo die Protestanten lebten, die nicht so unbarmherzig
mit einem überforderten Mädchen waren wie die Katholiken.
Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Als die Nacht begann, war schon alles vorbei. Frischgebackene Mutter und frischgebackene
Großmutter versöhnten sich gerührt. Diese Familie hatte viele Tränen, Irena stand im Hintergrund und verspürte große Sehnsucht.
Sie legten das Kind an, erneut Rührung, nur unterbrochen von der ruppigen Art der alten Karolina. Unleidlich öffnete sie dem
späten Besucher die Tür und war bereit, Bordon in |156| die Nacht zurückzuschicken. Aber diesen Mann hatte sie nie gesehen. Aufgelöst, ängstlich und erlöst schloss er Sophia in die
Arme, Irena riss den Säugling an sich, damit er bei der Versöhnung nicht zwischen die bebenden Körper geriet. Großmutter Wolzoff,
erst verdutzt, dann zornbebend, hörte alles an, was der Vater gestand. Randvoll mit Bekenntniswut, gestand er alle Sünden
und ließ auch die nicht aus, die nichts zur Sache taten. Auf die Knie fiel er, den Kopf senkte er, bat um Vergebung und mütterlichen
Segen. Irena reichte ein Brotmesser, das Mutter Wolzoff dem Erzeuger auf die Schulter legte.
Man köpfte den Sekt der alten Karolina.
Erneutes Klopfen, diesmal stand die Hebamme Bordon gegenüber. Betrunken wirkte er nicht, aber ansprechbar war er auch nicht.
Pampig wirkte er, Limousine (acht Zylinder) und Coupé (sechs Zylinder) vor der Tür trugen nicht zu seinem Gleichmut bei. Er
hatte den Verdacht, dass sich in seiner Abwesenheit die Dinge vom Kinderkriegen fort entwickelt hatten. Er machte Irena Vorwürfe
in der gemeinsamen Sprache, Irena hielt den Säugling auf dem Arm. Auftritt Fabian, der ruchlose Erzeuger, sein Name so rückgrat-
und zahnlos wie der ganze Mann. Kehrte den Beschützer hervor mit seinem frischen Vaterstolz, blies sich auf. Bordon stieß
ihn vor die Brust, Fabian fiel um wie ein nasser Sack. Gedemütigt rappelte sich der Vater auf, griff hinterrücks an, diesmal
bekam er einen Backs ins Gesicht, doch dann hielt er das Brotmesser in der Hand. Ein Moment unvergesslichen Entsetzens. Schreiende
Frauen und ein schlafender Säugling, Bordon in seinem Blut, Fabian mit tropfendem Messer und den Worten: »Das habe ich doch
nicht gewollt.«
|157| Die Flucht vollzog sich in weniger als fünf Minuten. Erst kehrte Irena zurück, danach die alte Karolina, während Sophia im
Wagen den Messerstecher tröstete. »Ich wollte doch nur deine Ehre retten«, wimmerte er und floh allein in die Nacht. Sophia
verlangte nach ihrem Kind, die alte Karolina gab es nicht her, in dieser Hektik war sein Wohlergehen nicht gewährleistet.
Die Besucher brachen auf, die Hiesigen schafften Bordon ins Bett. Irena hielt durch, die alte Karolina riet ihr zu verschwinden.
Denn jetzt sei der Moment.
»Welcher Moment?«, fragte Irena.
Sie sahen sich an und Irena wusste erst am nächsten Tag, dass sie sich in diesem Augenblick frei gefühlt hatte. Alles voller
Blut, alles aus
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