Die hölzerne Hedwig
können. Mediziner, Forensiker, Ballistiker, Kollegen anderer Kommissariate, aus
anderen Städten oder Staaten – alles lief in der Zentrale ein und das Team vor Ort bekam nicht jedes Detail brühwarm vor die
Füße gekippt und musste mühsam heraussuchen, was wichtig war und was vernachlässigenswert. Stattdessen ging nur an die Ermittlungsfront,
was vorsortiert worden war. Ein Segen für die Arbeit, nicht für den, der die Krümel sortieren musste, aber alle wussten: Im
Mittelpunkt stand der Fall.
Zwei Kollegen hatten sich in den ersten Monaten von Karolinas Regiment degradiert gefühlt und waren aussortiert worden. Küchenmeister
hatte die Flurbereinigung problemlos überstanden, abgelenkt durch das Finale einer Zweierbeziehung, das ihn Terrassentür und
Wohnungstür gekostet hatte. Seine damalige Holde hatte sich in der Schlussphase darauf verlegt, auf kürzestem Weg in seine
Privatsphäre vorzudringen. Seitdem vermied es Küchenmeister, Parterrewohnungen anzumieten.
Die Stallwache verlas die neuesten Erkenntnisse. Der Name Bordon war eine Sackgasse. Man hatte verwandte Schreibweisen durchdekliniert,
ohne Erfolg. Fotos, die sich in der Hütte gefunden hatten, gingen in diesen Minuten ihren Weg.
|32| Die Suche nach Macciato, dem Vermieter, lief. Man hatte ihn in Görlitz aufgetrieben, aber noch nicht persönlich angetroffen.
Mehrfach hatten sich andere Stimmen unter seinen Nummern gemeldet, immer Frauen. Entweder mit dunklen Stimmen oder fehlerhaftem
Deutsch.
»So wie die Dänen deutsch sprechen«, sagte die männliche Stallwache verträumt. »Stell dir eine polnische Hure vor, die deutsch
wie eine Dänin spricht. Dann weißt du, was ich meine.«
»Du meinst: wie Rudi Carrell im Rock.«
»Carrell war Holländer. Weißt du das etwa nicht?«
Die Kollegen in Görlitz kannten Macciato. Angeblich hieß der Bursche wirklich so. Manfred Macciato, aber jeder nannte ihn
Macciato. Das sei in seiner Welt von Vorteil, weil man Namen ohne S auch aussprechen konnte, wenn man einige Zähne verloren
hatte. Bekannte Verbindungen zu Bordon gab es nicht.
Küchenmeister wusste es besser: ein Puffbesitzer von der deutsch-polnischen Grenze und ein schweigsamer Rumäne, verbunden
durch einen Mietvertrag. Es musste eine Verbindung zwischen ihnen geben – nicht nur das Mietverhältnis, sondern das, was sie
miteinander in Kontakt gebracht hatte. Einen Vertrag hatte man sowieso noch nicht gefunden. Vielleicht hatten sie es unter
Männern abgemacht: ein fester Händedruck als Ersatz für die Unterschrift. Eine Bankverbindung besaßen die Bordons auch nicht.
Wie war die Miete bezahlt worden? Wie hoch mochte sie gewesen sein? Küchenmeister liebte Fragen. Er liebte auch Antworten,
aber ein Haufen Fragen entzückte ihn. Er machte Polizisten wichtig.
|33| Nach dem Telefonat sah er klarer: Sie hatten nichts in der Hand. Sie hatten nur eine Leiche und den Tatort. Sie mussten noch
einmal in die Hütte. Dort würden sie etwas Neues finden oder das schon Gefundene mit neuen Augen sehen.
7
Kommissar Küchenmeister fand die Spurensicherer essend im Garten. Er konnte es nicht mitansehen, wie sie sich armselige Stullen
antaten und spendierte die Reste der Kroaten.
Außerhalb seiner Plastiktracht sah Sackmann aus wie verkleidet, er begleitete den Kommissar in die Hütte. Der Spurensicherer
hielt für bewiesen, dass Bordon in der Hütte etwas gesucht hatte. Einfach, weil alle anderen Möglichkeiten ausschieden. Außer
Wahnsinn und zwanghaftes Verhalten. Zum ersten Mal dachte Küchenmeister darüber nach, wer vor den Bordons in der Hütte gelebt
hatte. Sackmann hatte nichts dagegen, dass er telefonierte. Er wusste, wie sehr Ungewissheit schmerzen konnte.
Die Bordons hatten die Hütte vor 17 Monaten bezogen. Davor hatte sie ein Jahr leer gestanden. Davor hatte Hella Schimmel mit
ihren Kindern hier gewohnt, weil sie sich von Ingolf Schimmel getrennt hatte und den Stinkstiefel nicht mehr sehen wollte.
Sie war auf eigene Faust eingezogen, hatte die Hütte praktisch besetzt. Aber jeder im Ort hatte dafür Verständnis gehabt.
Sie blieb ja auch nur acht Wochen, in denen sie sich mit Ingolf mehrfach versöhnt hatte und am Ende schwanger gewesen war.
|34| Das war das Schicksal der Hütte gewesen: Sie war ein Notquartier. Angeblich war sie in den sechziger Jahren gebaut worden
und die Bauherren hatten hier zehn Jahre gelebt. Dann waren sie zu ihren Kindern in den Odenwald gezogen. Als sie
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