Die Holzhammer-Methode
herum. Eine ihrer zahlreichen Katzen schaute ihr dabei zu. Matthias war die Frau seit jeher ein Rätsel. Zu ihren Mitmenschen war sie meist schroff und abweisend, aber ihren Garten und ihre Katzen schien sie abgöttisch zu lieben. Sie war aufbrausend und wirkte immer irgendwie unzufrieden. Ganz anders als Matthias selbst. Zumindest, seit er den Buddhismus für sich entdeckt hatte. Früher war er selbst leicht reizbar gewesen und bei der kleinsten Unwegsamkeit aus der Haut gefahren. Heute perlte Stress an ihm ab wie Wasser an einer Lotosblüte.
Matthias war 1 , 94 Meter groß und wog 93 Kilo. Dank dieser Statur hatte er früher auf Rockerfestivals nie Probleme gehabt, einen guten Platz vor der Bühne zu ergattern – egal, ob dort gerade eine Band spielte oder eine Lesbenshow ablief. Nicht selten hatten diese Partys in wilden Schlägereien geendet, und Matthias war meistens mitten unter den Raufbolden gewesen.
Damals war er noch sehr sportlich gewesen, hatte Fußball gespielt und Volleyball und zeitweise jeden zweiten Abend den Grünstein bestiegen, den kleinen Berg hinterm Haus. Nicht wegen des Naturerlebnisses, sondern zu Trainingszwecken. Doch dann war er nach einem mehrfachen Bänderriss vom Fußballfeld aufs Motorrad umgestiegen. Und vom nichtpraktizierten Katholizismus zum Buddhismus. Kein einfacher Schritt im tiefsten Bayern. Sein Cousin war hier Bürgermeister, ein Onkel betrieb ein Geschäft für Krippenställe und Heiligenfiguren.
Schuld daran war eine Frau gewesen, die ihn – statt in ihr Schlafzimmer – zu einer buddhistischen Versammlung einlud. Im Glauben, auf diesem Umweg doch noch sein eigentliches Ziel zu erreichen, war er darauf eingegangen und mit ihr nach München gefahren. Dort hatte er den ganzen Tag den Diskussionen gelauscht. Und war bekehrt zurückgekommen. Die Beziehung zu der Frau hatte nicht lange gehalten, aber der Buddhismus war ihm geblieben und hatte sein Leben grundlegend verändert.
Zwanzig Minuten Meditation am Morgen, und Matthias fühlte sich ausgeglichen, frisch und bereit fürs Erwerbsleben. Er band seine Krawatte um und machte sich mit seinem klapprigen Wagen auf den Weg zur Arbeit. Hemd und Krawatte waren Pflicht in der Bank, auch wenn er nicht am Schalter arbeitete. Es gab allerdings eine Alternative, eine Sonderregelung, die bundesweit nur in Berchtesgaden galt: Er hätte in Tracht gehen können. Das war von der Geschäftsführung ausdrücklich erlaubt. In Tracht konnte man in Berchtesgaden überall hingehen. Zu Hochzeiten, Beerdigungen, in die Kirche, zu offiziellen Feiern und ins Bierzelt.
In der Polizeidienststelle im Markt ging es rund an diesem Morgen. Hauptwachtmeister Holzhammer, die rechte und die linke Hand seines Vorgesetzten Dr. Fischer, rotierte unwillig, quasi mit Unwucht. Offensichtlich hatten selbst die überregionalen Medien in der sommerlichen Sauregurkenzeit nichts Besseres zu tun, als die Internetseite des
Berchtesgadener Anzeigers
zu studieren. Und so ging eine Presseanfrage nach der anderen ein – von Radiosendern, Zeitungen und Zeitschriften bis hin zum Fachmagazin für Gleitschirmfliegen. Alle wollten die genauen Todesumstände erfahren. Aber Holzhammer war weder Gleitschirmspezialist noch Pressesprecher, er hasste diese Frage-Antwort-Spiele. Und so vertröstete er die Journalisten auf die Ankunft seines Chefs. Er wusste ja, dass Journalisten für Dr. Fischer ein gefundenes Fressen waren. Doch der ließ aus unerfindlichen Gründen auf sich warten.
Holzhammer war sechsundvierzig Jahre alt, 1 , 65 Meter groß – bei ungefähr gleichem Bauchumfang. Er selbst bezeichnete sich als «untersetzt», seine Frau hingegen sprach ungeniert von seiner «Bierkugel». Seine Haare wichen über der Stirn bereits stark zurück, schrien aber gleichwohl meist lautstark nach einem ordentlichen Schnitt. Seine Frau war selbstverständlich eine Einheimische, und auch seine Kinder waren am Ort geblieben. Franz Holzhammer war ein Berchtesgadener, wie er im Buche stand: kaum aus dem Tal weggekommen, außer zu den absolut notwendigen Ausbildungseinheiten nach München. Dort hatte er sich bei den wenigen Anlässen immer äußerst unwohl gefühlt, daher versuchte er inzwischen, Fortbildungen konsequent zu vermeiden. Die Techniken, die an der Polizeischule gelehrt wurden, waren für seine tägliche Arbeit ohnehin kaum von Belang. Die meisten einheimischen Kriminellen kannte er seit seiner Jugend, und dank seiner weitverzweigten Verwandtschaft war er darüber hinaus
Weitere Kostenlose Bücher