Die Holzhammer-Methode
seine Chance, irgendwie auf die Münchner Bühne zurückzukehren. Berchtesgaden war ein Abstellgleis. Außerdem war er ein Großstadtmensch und kam sich inmitten der Berge eingesperrt vor. Er war kurz vor dem Alpenkoller. Ein weiterer, nicht unerheblicher Gesichtspunkt: Hier gab es keinerlei Möglichkeiten, gelegentlich inkognito über die Stränge zu schlagen. Jeder kannte jeden, und alles wurde peinlich genau registriert. Mit wem er redete oder nicht, ob er sein Auto ein- oder zweimal im Monat wusch oder ob er vielleicht dann und wann mal nach Salzburg ins Bordell ging. Und wenn er abends ins Nachtcafé ging, dann traf er dort auch noch seine Belegschaft. So wie heute. Aber irgendwann musste man ja mal raus.
Besonders schlimm am Landleben fand Fischer, dass hier nicht nur jeder jeden kannte, sondern auch jeder über jeden alles wusste. Sogar er wusste inzwischen zum Beispiel, dass der Hauptwachtmeister in spätestens zehn Minuten zahlen und heimgehen würde, weil er sonst seine Frau nicht mehr wach anträfe, die einen anstrengenden Job im örtlichen Supermarkt hatte. Genau aus diesem Grund kam Fischer sonst meistens noch eine halbe Stunde später als heute.
Fischer grüßte kurz zu seinem Untergebenen hinüber, und der grüßte zurück. Bei der Gelegenheit bemerkte Fischer, dass Holzhammer neben einer ausgesprochen attraktiven, ihm bislang unbekannten Frau saß. Und wie er vorausgesehen hatte, rief Holzhammer kurz darauf die Barfrau zum Bezahlen.
Als Holzhammer das Geld auf den Tresen legte, blickte Christine von ihrem Glas auf. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie noch immer nicht wusste, wo sie heute Nacht eigentlich schlafen sollte. Also nutzte sie die Gelegenheit und erkundigte sich bei Manu nach einer halbwegs günstigen und ordentlichen Pension.
«Gar nicht so einfach, jetzt in der Hauptsaison», sagte Manu. «Aber ich weiß zufällig, dass im Alpenglück heute ein Gast kurzfristig abgesagt hat. Die Pension ist ganz in der Nähe. Ich ruf gerne dort an, um das Zimmer zu reservieren.»
Als das geklärt und Holzhammer gegangen war, bestellte Christine noch einen Rotwein und begann zu grübeln. Wie hatte ihr das passieren können? Sie, die selbst Therapien durchführte, die alles über Beziehungen und Kommunikation wusste, über kognitive Dissonanzen promoviert und ihre Ratschläge zu Eheproblemen immer verteilt hatte wie Bonbons – sie stand jetzt vor den Scherben ihrer Ehe. Unversehens rollte ihr eine Träne über die Wange.
Da wurde ihr plötzlich von der linken Seite ein Tempotaschentuch zugeschoben. Halb erschrocken, halb dankbar blickte sie auf. Und da saß er auch schon neben ihr, der Mann, den Manu von allen Gästen am enthusiastischsten begrüßt hatte.
«Hallo, ich bin Klaus», sagte er, erholsamerweise in reinstem Hochdeutsch.
«Christine.»
«Darauf trinken wir», antwortete Fischer. Und er zeigte sich schnell als charmanter Gesprächspartner. Er brachte Christine zum Lachen und flocht in seine Anekdoten ständig kleine Komplimente ein. Seine Tätigkeit als örtlicher Polizeichef stellte er als spannende und verantwortungsvolle Aufgabe dar, bei der es vor allem darum ging, den anarchischen Umtrieben des Bergvolks Einhalt zu gebieten. Er erzählte von dem Einheimischen, der seit zehn Jahren ohne Führerschein Auto fuhr, und von dem Toten, der seit vierzig Jahren in seinem VW Käfer auf dem Grund des Königssees saß. Der Mann hatte angeblich in betrunkenem Zustand versucht, über den zugefrorenen See nach St. Bartholomä zu fahren und war auf halbem Wege eingebrochen. Als Taucher nach Jahren den Wagen entdeckten, war der Fahrer durch das kalte Wasser kaum verwest und hielt das Steuer, als wollte er immer noch weiterfahren. Man hatte die Ehefrau gefragt, ob man den Wagen inklusive Leiche bergen solle. Aber die hatte geantwortet, das sei ihr zu teuer. Und überhaupt: Was solle sie mit einer Leiche und einem völlig verrosteten Auto.
Nach jeder Anekdote rückte Klaus ihr ein Stückchen näher, und nachdem er ihr erzählt hatte, dass er neulich in einem Altenheim Geschirrteile konfisziert hatte, auf deren Unterseiten unverkennbar kleine Hakenkreuze prangten, küsste er sie. Christine war inzwischen beim vierten Glas Wein und ließ es sich einfach gefallen.
«Was für Hakenkreuze?», fragte sie noch anstandshalber, bevor sie zurückküsste.
«Bestände vom Obersalzberg», antwortete Fischer, fast, ohne seine Lippen von ihren zu nehmen. «Nach der Bombardierung durch die Alliierten wurde von den
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