Die Hongkong-Papiere
Schottland an Krebs gestorben.«
In diesem Moment hörte Tanner auf zu atmen. Seine Tochter schrie auf, und Jackson schob sie sanft zu ihrem Mann hinüber und beugte sich über den Patienten. Nach einer Weile drehte er sich zu dem Ehepaar um. »Es tut mir leid, er ist tot«, sagte er einfach.
Damit hätte es zu Ende sein können, wenn Tony Jackson sich nicht nach der Lektüre des Artikels in der New York Times über Hongkong und seine Beziehungen zu China gewundert hätte, ausgerechnet jetzt Tanners Geschichte gehört zu haben. Das war von besonderer Bedeutung, weil Tanner in den frühen Morgenstunden eines Sonntags gestorben war und Jackson, soweit es seine Arbeitszeit im Krankenhaus erlaubte, stets im Hause seines Großvaters in Little Italy zu Mittag aß. Dort führte seine Mutter seit dem Tod der Großmutter für ihren Vater das Haus.
Jacksons Großvater, nach dem er selbst benannt worden war, hieß Antonio Mori. Er war sozusagen ganz knapp in Amerika geboren worden, weil seine schwangere Mutter von Palermo kommend gerade rechtzeitig eingetroffen war, um ihr Baby auf Ellis Island zur Welt zu bringen. Es waren zwar nur vierund zwanzig Stunden, aber die hatten gereicht, um aus dem kleinen Antonio einen Amerikaner zu machen.
Antonios Vater hatte Freunde von ganz spezieller Art, Freun de in der Mafia. Antonio selbst hatte für kurze Zeit seinen Lebensunterhalt als einfacher Arbeiter bestritten, ehe die Freunde ihm zuerst einen Posten im Olivenölgeschäft und später im Gastgewerbe verschafften. Er hatte stets den Mund gehalten und getan, was man von ihm verlangte, wodurch er schließlich zu Wohlstand und Ansehen im Baugewerbe gelangte.
Seine Tochter hatte keinen Sizilianer geheiratet. Das akzep tierte er, genauso wie er hinnahm, daß seine Frau an Leukämie starb. Sein Schwiegersohn, ein reicher angelsächsischer Rechtsanwalt, verlieh der Familie Ehrbarkeit. Sein Tod kam durchaus gelegen. Er führte Mori und seine geliebte Tochter wieder zusammen. Er brachte ihm auch seinen ausgezeichneten Enkel näher, der so begabt war, daß er in Harvard studieren konnte. Es machte nichts, daß er ein Heiliger war und sich für die Medizin entschied. Mori verdiente genug Geld für sie alle, denn er gehörte zur Mafia. Er war ein wichtiges Mitglied der Familie Luca, deren Oberhaupt, Don Giovanni Luca, obwohl nach Sizilien zurückgekehrt, der Capo di tutti Capi war: der Boß aller Bosse in der Mafia. Das Ansehen, das Mori dadurch genoß, war unbezahlbar.
Als Jackson im Haus seines Großvaters eintraf, bereitete seine Mutter gerade in der Küche zusammen mit Maria, dem Hausmädchen, das Mittagessen vor. Sie war trotz der grauen Strähnen in ihrem dunklen Haar immer noch eine Schönheit. Sie wandte sich um, küßte ihn auf beide Wangen und hielt ihn dann ein Stück von sich weg.
»Du siehst ja furchtbar aus. So tiefe Ränder unter den Au gen.«
»Mama, ich habe eine Nachtschicht hinter mir. Ich habe mal drei Stunden geschlafen, mich schnell geduscht und bin gleich hergekommen, weil ich dich nicht enttäuschen wollte.«
»Du bist wirklich ein guter Junge. Geh und sag deinem Großvater guten Tag.«
Jackson ging ins Wohnzimmer, wo er Mori antraf, der die Sonntagszeitung las. Er bückte sich, um seinen Großvater auf die Wange zu küssen, und Mori sagte: »Ich habe deine Mutter gehört, und sie hat recht. Du tust Gutes und bringst dich gleichzeitig selbst um. Da, trink einen Schluck Rotwein.«
Jackson nahm das Glas entgegen und trank mit Genuß. »Das tut gut.«
»Hattest du eine interessante Nacht?« Mori nahm lebhaft Anteil an der Tätigkeit seines Enkels und langweilte gelegent lich sogar seine Freunde mit den Lobeshymnen auf den jungen Mann.
Jackson, der sich bewußt war, daß sein Großvater ihn ver wöhnte, ging zur Terrassentür, öffnete sie und zündete sich eine Zigarette an. Er drehte sich um. »Erinnerst du dich noch an die Solazzo-Hochzeit letzten Monat?«
»Ja.«
»Du hast dich mit Carl Morgan unterhalten und mich kurz mit ihm bekannt gemacht.«
»Mr. Morgan war von dir sehr beeindruckt. Er hat es mir gesagt.« Stolz schwang in Moris Stimme mit.
»Ja, ihr beide habt euch über Geschäftliches unterhalten.«
»Unsinn, welche Geschäfte könnten wir schon gemeinsam haben?«
»Um Gottes willen, Großvater, ich bin nicht dumm, und ich liebe dich. Aber glaubst du, ich hätte nicht langsam begriffen, in welchem Gewerbe du tätig bist?«
Mori nickte langsam und
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