Die Hongkong-Papiere
dafür einiges schuldig, Brigadier. Das werde ich Ihnen niemals vergessen.«
Er entfernte sich, und Colonel Candy sagte: »Gott sei Dank ist alles ohne Aufsehen abgelaufen. Deshalb können wir es geheimhalten.«
»Ich weiß«, sagte Ferguson. »Als wäre es nie passiert.«
Candy verabschiedete sich ebenfalls. Hannah Bernstein wandte sich zu ihrem Chef um. »Ich habe Professor Bellamy vor einer halben Stunde getroffen. Er kam her, um nach ihm zu sehen.«
»Und was hat er gesagt?« Ferguson runzelte die Stirn. »Er kommt doch wieder auf die Beine, oder?«
»Oh, er wird am Leben bleiben, Sir, wenn Sie das meinen. Das Problem ist nur, daß Bellamy glaubt, daß er nicht mehr so sein wird wie früher. Sie hat ihn fast ausgeweidet.«
Ferguson legte einen Arm um ihre Schultern. »Sind Sie in Ordnung, meine Liebe?«
»Sie meinen, ob ich durcheinander bin, weil ich heute jeman den getötet habe? Überhaupt nicht, Brigadier. Ich bin wirklich nicht das nette jüdische Mädchen, für das Dillon mich hält. Viel eher bin ich ein jüdisches Mädchen aus dem Alten Testament. Sie war ein mörderisches Biest. Sie hat den Tod verdient.« Hannah holte eine Zigarette heraus und zündete sie an. »Nein, es ist Dillon, der mir leid tut. Er hat gute Arbeit geleistet. Er hätte etwas Besseres verdient.«
»Ich dachte, Sie mögen ihn nicht«, sagte Ferguson.
»Dann irren Sie sich, Brigadier.« Sie betrachtete Dillon durch die Glaswand. »Das Problem ist, daß ich ihn viel zu sehr mochte, und das zahlt sich in unserem Gewerbe niemals aus.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging davon. Ferguson zögerte, warf einen letzten Blick auf Dillon, dann folgte er ihr.
3
Zwei Monate später trat in einem Krankenhaus auf der anderen Seite des Atlantiks der junge Tony Jackson seinen Nachtdienst an. Er war ein hochgewachsener, gutaussehender junger Mann von dreiundzwanzig, der im Jahr zuvor an der Harvard Medical School sein Examen abgelegt hatte. Our Lady of Mercy in New York, ein Wohlfahrtskrankenhaus, dessen Personal vorwiegend aus Nonnen bestand, gehörte nicht zu den Hospitälern, die jungen Ärzten als der ideale Ort für ihre Assistentenzeit vorschwebten.
Aber Tony Jackson war ein Idealist. Er wollte wirklich Medizin praktizieren, und dafür war Our Lady of Mercy ganz gewiß der richtige Ort, wo man kaum fassen konnte, daß man einen derart begabten jungen Mann hatte verpflichten können. Er liebte die Nonnen und fand es faszinierend, mit wie vielen verschiedenen Patienten und Krankheitsbildern er konfrontiert wurde. Die Bezahlung war armselig, aber in seinem Fall bedeutete Geld kein Thema. Sein Vater war bis zu seinem frühen Krebstod ein erfolgreicher Anwalt in Manhattan gewesen und hatte die Familie sehr gut versorgt hinterlassen. Außerdem stammte seine Mutter, Rosa, aus New Yorks Little Italy und hatte einen fürsorglichen Vater, der erfolgreich im Baugeschäft tätig war.
Tony bevorzugte die Nachtschicht und ihre in allen Kranken häusern der Welt so besondere Atmosphäre. Außerdem bot sie ihm die Möglichkeit, Verantwortung zu tragen. Während des frühen Abends arbeitete er auf der Unfallstation, nähte aufge schlitzte Gesichter zusammen, betreute, so gut es ging, Süchti ge, die zusammenbrachen, weil sie kein Geld mehr hatten für den nächsten Schuß. Nach Mitternacht wurde es gewöhnlich ruhiger.
Er war alleine in der kleinen Kantine, gönnte sich einen Kaffee und ein Sandwich, als die Tür aufging und ein junger Priester hereinschaute. »Ich bin Father O’Brien von St. Mark’s. Ich erhielt einen Anruf, ich solle zu Mr. Tanner, einem schotti schen Gentleman, kommen. Ich glaube, er verlangt nach der Letzten Ölung.«
»Tut mir leid, Father, ich habe erst heute abend hier angefan gen, deshalb weiß ich überhaupt nicht Bescheid. Lassen Sie mich mal auf den Plan schauen.« Er überprüfte ihn schnell, dann nickte er. »Jack Tanner, das muß er sein. Heute nachmit tag aufgenommen. Alter fünfundsiebzig. Brite. Er ist im Haus seiner Tochter in Queens zusammengebrochen. Er liegt in einem Privatzimmer im dritten Stock, Nummer acht.«
»Vielen Dank«, sagte der Priester und verschwand.
Jackson trank seinen Kaffee und blätterte die New York Times durch. Es gab kaum Neuigkeiten, eine Bombe der IRA in London und im Finanzzentrum der Stadt, ein Artikel über Hongkong, die britische Kronkolonie, die am 1. Juli 1997 der Souveränität Chinas unterstellt würde. Es schien, als
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