Die Hongkong-Papiere
stiegen, sagte Hannah: »Was nun?«
»Wir fahren in drei oder vier Wochen, kurz vor Morgan, nach Ardnamurchan Lodge. Bis dahin werde ich ihn im Auge behalten. Und zwar mit Hilfe aller internationalen Polizeikon takte, die mir zur Verfügung stehen. Ich will genau wissen, wohin er geht und was er tut.«
»Na schön.«
»So, und jetzt lade ich Sie zum Essen ein. Ich dachte an Blooms in Whitechapel. Das können Sie unmöglich ablehnen, Chief Inspector. Es ist das beste jüdische Restaurant in Lon don.«
Nach dem Verlassen des Verteidigungsministeriums hatte Dillon einfach ein Taxi angehalten und sich in die Stable Mews bringen lassen, nicht weit von Fergusons Wohnung am Cavendish Square. Er hatte dort am Ende des gepflasterten Hofs ein Häuschen mit zwei Zimmern. Als er dort eintraf, meldeten sich die Schmerzen wieder sehr heftig, und er schluckte eine der Morphiumkapseln, die Bellamy ihm mitgegeben hatte. Danach legte er sich gleich ins Bett.
Die Kapsel mußte ihn total betäubt haben, denn als er auf
wachte, war es draußen bereits dunkel. Er stand auf, begab sich ins Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sein Spiegelbild sah wirklich furchtbar aus. Er schüttelte sich entsetzt und ging nach unten. Er schaute auf die Uhr. Sie zeigte halb acht. Er brauchte dringend etwas zu essen, das war ihm klar; trotzdem erzeugte die Vorstellung von Speisen Ekel in ihm.
Vielleicht würde bei einem Spaziergang sein Kopf wieder klar werden, und dann könnte er sich ja ein Café suchen. Er öffnete die Haustür. Der feine Regen bildete einen zarten Schleier im Licht der Straßenbeleuchtung. Als er sein Jackett anzog, spürte er das Gewicht der Walther und hielt inne. Er fragte sich, ob er die Waffe zu Hause lassen sollte, aber das verdammte Ding gehörte schon so lange zu ihm. Er schlüpfte in einen Regenmantel, nahm einen schwarzen Regenschirm und ging hinaus.
Er wanderte von Straße zu Straße, kehrte nur einmal in ein Pub an einer Straßenecke ein, wo er sich einen großen Brandy und eine Schweinefleischpastete bestellte. Die Pastete schmeckte so ekelhaft, daß er schon nach dem ersten Bissen das Gefühl hatte, sich jeden Moment übergeben zu müssen.
Er wanderte ziellos umher. Mittlerweile war Nebel aufgezo
gen, der sich zu dichten Schwaden sammelte. Er vermittelte Dillon ein Gefühl des Eingeschlossenseins, als bewege er sich in seiner eigenen, persönlichen Welt. Eine undeutbare Ahnung kündete von herannahender Gefahr, wahrscheinlich eine Art drogenbedingter Verfolgungswahn, und irgendwo in der Ferne schlug Big Ben elfmal. Die Glockenschläge wurden vom Nebel merkwürdig gedämpft. Stille herrschte, die vom unverwechsel baren Ton aus dem Nebelhorn eines Schiffs unterbrochen wurde, während es flußabwärts dampfte. Dillon erkannte, daß er sich in nächster Nähe der Themse befand.
Er bog in eine andere Straße ein und fand sich direkt am Flußufer wieder. Ein Laden hatte noch geöffnet. Er ging hinein und kaufte ein Päckchen Zigaretten. Ein junger Pakistani bediente ihn.
»Gibt es hier in der Nähe ein Restaurant?« fragte Dillon.
»Jede Menge in der High Street, aber wenn Sie chinesische
Küche bevorzugen, dann gibt es hier den Red Dragon, gleich um die Ecke am China Wharf.«
»Ein interessanter Name«, sagte Dillon und zündete sich mit zitternder Hand eine Zigarette an.
»Die Teeklipper gingen dort in den alten Zeiten, als der Handel mit China blühte, vor Anker.« Der junge Mann zögerte. »Sind Sie in Ordnung?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, ich komme gerade aus dem Krankenhaus«, sagte Dillon. »Aber ich finde es nett, daß Sie gefragt haben.« Er schlenderte weiter durch die Straßen, vorbei an hoch aufragenden Lagerhäusern. Der Regen hatte jetzt zugenommen. Dillon erreichte die betreffende Straßenecke und sah einen drei Meter hohen Drachen in rotem Neonlicht leuchten. Er klappte den Regenschirm zusammen, öffnete die Tür und ging hinein.
Er gelangte in einen langen, schmalen Raum mit dunklen holzgetäfelten Wänden und zwei Dutzend Tischen, jeder mit einer sauberen weißen Leinentischdecke belegt. Verschiedene dekorative Gegenstände standen herum, und an den Wänden hingen chinesische Aquarellbilder.
Nur ein Gast befand sich in dem Laden. Es war ein Chinese von mindestens sechzig Jahren mit kahlem Schädel und einem runden, rätselhaften Gesicht. Er war nicht größer als einsfünf zig und sehr fett und hatte trotz seines braunen Gabardinean
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