Die Hongkong-Papiere
denn da, einen Helden?«
»Laßt sie los«, befahl Dillon.
Terry grinste und preßte die junge Frau noch fester an sich. »Nein, es gefällt mir viel zu gut.« Alle Frustration, die Wut und die Schmerzen der vergangenen Wochen stiegen wie bittere Galle in Dillons Mund hoch, und er zückte die Walther, feuerte blindlings und gab dem Spiegel den Rest.
Terry stieß die junge Frau von sich. »Seht auf seine Hand«, flüsterte er. »Sie zittert wie verrückt.«
McGuire zeigte keine Spur Angst. »Der Akzent weckt in mir glatt Heimatgefühle«, sagte er.
»Deiner aber auch, mein Sohn«, erwiderte Dillon. »Ob Shan kill oder Falls Road, für mich macht das keinen Unterschied. Und jetzt rück deine Brieftasche raus.«
McGuire zögerte nicht einmal und warf sie auf den Tisch. Sie war mit Geldscheinen prall gefüllt. »Ich sehe, du hast deine Runde gemacht«, sagte Dillon. »Das müßte für den Schaden reichen.«
»He, das sind fast zweitausend«, protestierte Terry.
»Alles, was zuviel ist, kann man ja den Witwen und Waisen spenden.« Dillon schaute zu der jungen Frau. »Keine Polizei, klar?«
»Keine Polizei.«
Hinter ihr ging die Küchentür auf, und zwei Kellner und ein Koch erschienen. Die Kellner hatten Metzgermesser, der Koch ein Fleischbeil in den Händen.
»Ich würde an deiner Stelle verschwinden«, sagte Dillon. »Diese Leute können ziemlich gewalttätig werden, wenn man sie reizt.«
McGuire lächelte. »Dich merke ich mir, Freundchen. Kommt, Jungs.« Er machte kehrt und ging hinaus.
Sie hörten einen Motor anspringen, und dann fuhr ein Wagen los. Mit letzter Kraft ließ sich Dillon nach hinten sacken und steckte die Pistole weg. »Jetzt könnte ich einen Brandy gebrauchen.«
Die junge Frau war wütend, und das war seltsam. Sie wirbelte herum und stürmte an den Kellnern vorbei in die Küche.
»Was habe ich falsch gemacht?« fragte Dillon, während ihr das Personal folgte.
»Es ist nichts«, sagte der fette Mann. »Sie ärgert sich. Ich gebe Ihnen Ihren Brandy.«
Er ging zur Bar, holte eine neue Flasche und zwei frische Gläser, kam zurück und setzte sich. »Sie haben kantonesisch mit mir gesprochen. Waren Sie schon oft in China?«
»Nur einige Male. Vorwiegend in Hongkong.«
»Erstaunlich. Ich komme aus Hongkong, und meine Nichte ebenfalls. Ich heiße Yuan Tao.«
»Sean Dillon.«
»Sie sind Ire, waren nur ein paarmal in Hongkong, und trotzdem ist Ihr Kantonesisch hervorragend. Wie ist das möglich?«
»Nun, die Erklärung ist einfach. Es gibt Menschen, die können zum Beispiel schwierige mathematische Rechnungen im Kopf schneller ausführen als ein Computer.«
»Aha?«
»Ähnlich ist es bei mir, wenn es um Sprachen geht. Ich sauge sie regelrecht auf.« Dillon nahm einen Schluck Brandy. »Ich vermute, die Bande war früher schon mal hier.«
»Ich nehme es an. Ich bin erst gestern mit dem Flugzeug angekommen. Vermutlich treiben sie ihre Forderungen hier
und anderswo schon seit einigen Wochen ein.«
Die junge Frau kam zurück. Sie trug nun eine lange Hose und einen Pullover. Sie war immer noch wütend, ignorierte ihren Onkel und funkelte Dillon an. »Was wollen Sie hier?«
Yuan Tao schaltete sich ein. »Wir schulden Mr. Dillon eine ganze Menge.«
»Wir schulden ihm gar nichts, und er hat alles verdorben. War es nur ein Zufall, daß er hier hereinkam?«
»Seltsamerweise ja, das war es«, sagte Dillon. »Mein liebes Kind, das Leben ist voll von solchen Zufällen.«
»Und was für ein Mann ist das, der eine Pistole bei sich trägt? Auch ein Verbrecher?«
»Mein Gott«, sagte Dillon zu Yuan Tao, »was für eine Logik. Ich könnte genausogut ein Polizist sein oder der letzte aller Vigilanten, der Charles Bronson imitiert, indem er Bösewichter auslöscht.« Der Brandy stieg ihm allmählich in den Kopf, und er erhob sich. »Ich mache mich wieder auf den Weg. Es hat Spaß gemacht.« Danach war er durch die Tür verschwunden, ehe sie ihn aufhalten konnten.
5
Dillon war müde, sehr müde, und das Pflaster schien sich unter seinen Füßen zu bewegen. Er folgte der Straße, und sie führte ihn zur Themse. An einem Geländer blieb er stehen, blickte in den Nebel und nahm wahr, daß da draußen ein weiteres Schiff vorbeistampfte. Er war verwirrt, alles lief wie in Zeitlupe ab, und er merkte nicht, daß jemand hinter ihm war, bis sich ein Arm um seinen Hals legte und ihm die Luft abschnürte. Eine Hand tauchte in seine Tasche und
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