Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
weiße Schnee verfärbte sich erst zu einem ekligen Rosa und wurde dann tiefrot. Die Schreie der Verletzten und Sterbenden brummten wie Fliegen um die Mauern.
Obwohl die zerfetzten und verstümmelten Leichen so zahlreich wie die Sterne am Himmel zu sein schienen, wusste Nathaniel Espa sehr wohl, dass Valescienn nur eine Vorhut geschickt hatte. Als die Herolde von Audriss’ General ein Trompetensignal schmetterten und zum Rückzug bliesen, blieben von der scheinbar ausgewachsenen Angriffsstreitmacht nur ein paar Hundert Tote auf dem Schlachtfeld liegen.
»Bericht!«, befahl Valescienn, ohne den Blick von der blutgetränkten Mauer zu nehmen.
»Wir haben noch nicht genau gezählt, General«, meldete sich ein gepanzerter Krieger zu Wort, dessen Atem in der kalten Luft Wolken bildete, als wäre er ein Drache. »Nach meiner vorläufigen Schätzung würde ich sagen, wir haben etwa zweihundertfünfzig, vielleicht auch dreihundert Männer verloren. Die Verluste des Feindes sind geringer, wahrscheinlich um die hundert.«
»Ausgezeichnet.« Valescienns Narben zuckten, als er lächelte. »Wenn du oben auf dieser Mauer stehen würdest, dann würdest du mit Sicherheit zu dem Schluss kommen, dass das, was hier gerade passiert ist, nur ein Versuch war, die Schwachpunkte herauszufinden, richtig?«
»Vollkommen richtig.«
»Gut. Dann sollten sie also jetzt glauben, dass die nächste Welle ein richtiger Angriff auf die Mauer ist.« Sein Lächeln wurde kalt. »Überbringe Mithraem und den Kobolden den Befehl, sich bereitzumachen.«
»Jawohl, General!« Der Soldat salutierte zackig, wobei sein gepanzerter Handschuh hohl gegen seinen Helm knallte, und entfernte sich dann durch den Nebel.
Diese Taktik hatte Audriss seit Beginn seines Feldzuges immer wieder angewendet, und sie hatte stets einen raschen Sieg herbeigeführt. Die stattliche Armee der Schlange war, um die Wahrheit zu sagen, kaum mehr als eine Kombination von Ablenkung und Aufräumtrupp. Die höchsten Mauern und die aufmerksamsten Verteidiger vermochten so gut wie nichts gegen die Kobolde auszurichten, die stets im Schatten angriffen, oder gegen Mithraems Endlose Legion.
Valescienn wartete noch eine gute Stunde, bis er seinem Herold befahl, das Signal zum Angriff zu geben. Die Krieger der Schlange stürmten vor, stießen verzweifelte Schlachtrufe aus und erhoben die Waffen, dennoch verlief der Angriff in dem tiefen Schnee langsam und stockend. Pfeile und Steine prasselten wie ein tödlicher Regen auf sie herab, und erneut brachen viele Männer mit zertrümmerten Brustpanzern und zerschmetterten Helmen zusammen. Es sah wirklich schlecht für die Angreifer aus, andererseits war genau das beabsichtigt.
Die Schreie aus dem Inneren der Stadt dagegen klangen, als sie an Valescienns Ohren drangen, so wunderbar wie die schönste Sinfonie. Die Pfeile der Verteidiger wurden weniger, als sie sich plötzlich einer Bedrohung von hinten gegenübersahen. Valescienn hatte gehofft, dass die Endlose Legion die Bogenschützen ohne Vorwarnung auslöschen würde, immerhin war ein Pfeil mit seinem Holzschaft eine weit größere Bedrohung für Mithraems Leute als die Krieger mit ihren stählernen Klingen. Trotzdem vertraute er darauf, dass sie ihre Aufgabe mit minimalen eigenen Verlusten erledigen könnten. Während sie die Verteidiger ablenkten, erreichte die erste Woge seiner menschlichen Soldaten die Zinnen, und damit begann die Schlacht um Pelapheron erst richtig.
Genau in diesem Moment brach alles auseinander.
Valescienn war einer der Ersten, der sie kommen hörte. Es klang nicht ganz wie Donner, weil der Schnee ihre Schritte dämpfte, und die Erde erbebte auch nicht unter ihrem Angriff. Trotzdem war Audriss’ General von ihrem Auftauchen für einen Moment wie gelähmt und starrte mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf die Armee von Corvis Rebaine, die zwischen den vereisten Bäumen heranstürmte.
21
Der steinerne Gang hallte, nein, er bebte unter den Schritten eines halben Dutzends Oger. Sie hatten die Schultern zusammengezogen und die Köpfe gesenkt, trotzdem passten sie kaum durch den Gang, der für Menschen geschaffen war. Aber sie waren fest entschlossen, sich weder von schmerzenden Muskeln noch von vollkommener Erschöpfung aufhalten zu lassen.
Auch nicht von dem wütenden, noch verzweifelteren Menschen, der hinter ihnen herlief.
»Davro, du hörst mir nicht zu!« Valescienn musste schreien, um sich angesichts seines laut klappernden Morgensterns, der beim
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