Die Horde 1 - Der Daemon des Kriegers
flüssig zu werden schienen. Corvis fühlte nicht nur die tektonischen Verschiebungen, als die gebrochenen Knochen sich zurechtrückten und sich mit ihrem Gegenstück verbanden, sondern er konnte sie förmlich hören. Hätte es eine Lichtquelle im Zelt gegeben, hätte Corvis bestimmt sehen können, wie sich die Muskeln und Knochen unter der Haut bewegten. Seine Wangen verkrampften sich, als die Prellungen und die Schwellungen zurückgingen, und das geschwollene und verkrustete Auge öffnete sich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder.
Corvis hatte die Fäuste geballt, die Zähne zusammengebissen und gurgelte tief unten in seinem Hals, während er die gesamte Prozedur über sich ergehen ließ.
Schließlich war es vollbracht. Corvis Rebaine lag auf dem Boden des Zeltes und spürte die harten Konturen des Bodens. Er war so erschöpft, so müde wie noch nie in seinem Leben, und sein ganzer Körper schmerzte fürchterlich.
Aber zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit, so schien es ihm zumindest, konnte er wieder ohne Schmerzen einatmen. Er konnte sich ohne jene Qual bewegen, die in letzter Zeit seine ständige Begleiterin gewesen war. Er konnte mit beiden Augen sehen, jedenfalls hätte er sehen können, wäre es nicht stockfinster gewesen, und mit beiden Ohren hören. Zögernd stand er auf, und als er stolperte und hinzufallen drohte, lag das nur an seiner Müdigkeit. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln, zum ersten Mal seit Jahren, bis auf jene, die er im Fieberwahn vergossen hatte, als er begriff, dass der Schmerz verschwunden war.
»Seilloah«, sagte er leise, »ich dachte, ich würde nie wieder …«
»Nein, Corvis.«
Er lächelte in die Dunkelheit. »Danke.« Dann fuhr er etwas drängender fort: »Geht es dir denn gut? Die Anstrengung dieses Zaubers muss ungeheuerlich gewesen sein.«
»Du kannst es dir nicht einmal annähernd vorstellen«, erwiderte sie. Corvis registrierte das Zittern in ihrer Stimme. »Ich werde morgen den Appell versäumen«, fuhr sie fort. »Ich nehme an, du hast damit kein Problem?«
»Nicht das geringste.«
»Gut. Ich würde nämlich nur sehr ungern denjenigen töten, den du zu mir schickst. Khanda und Spalter befinden sich in Audriss’ Zelt. Ich glaube nicht, dass du in der Lage sein wirst …«
»Ohne Khanda haben wir keine Chance. Entspann dich, Seilloah. Du hast deine Aufgabe erfüllt. Jetzt muss ich die meine erledigen.«
»Pass auf, du bist nicht in Bestform. Du bist müde, dein Körper hat unglaubliche Strapezen erlitten und …«
Der Kriegsfürst riss die Zeltplane auf und streckte die Hände aus. Auf eine hektische Bewegung erklang ein überraschtes Keuchen aus zwei Kehlen, gefolgt von einem feuchten Knirschen, als die Schädel der beiden Wachsoldaten sich trafen und versuchten, miteinander zu verschmelzen. Umrahmt vom Mondlicht drehte sich die Silhouette zu dem staunenden Nagetier um.
»Ich habe noch nicht meine ganze Kraft wiedererlangt. Aber ich bin um einiges kräftiger, als irgendjemand es von mir erwartet. Ich werde gewiss nichts Unüberlegtes tun, aber ich werde verdammt noch mal dafür sorgen, dass Audriss seinen Fehler begreift.«
»Und was für ein Fehler soll das sein?«
»Er hat den Schrecken des Ostens sehr, sehr böse gemacht.«
24
Unter dem Banner von Bär und Krone, das in dem lauen Lüftchen schwach flatterte, marschierte Lorum, Herzog von Taberness und amtierender Regent von Imphallion, durch die zerstörten Tore von Denathere. Er war vollständig von seinen Soldaten umringt, von denen ihn die meisten vermutlich für einen Idioten hielten, weil er überhaupt einen Fuß in diese Stadt setzte. Deshalb fiel es ihm schwer, sich ein Bild von der Zerstörung zu machen, selbst vom Sattel seines lebhaften Pferdes aus. Nathaniel Espa ritt an seiner linken Seite, auf der rechten flankierte ihn Rheah Vhoune, und sie alle schwiegen unter der Last des grauenvollen Anblicks, der sich ihnen bot.
Stundenlang, obwohl es ihm eher wie wenige Minuten vorkam, oder vielleicht waren es auch Minuten, die sich zu Stunden dehnten, betrachtete Lorum die zerstörten, geschändeten, entweihten Überreste von dem, was einst Imphallions zweitgrößte Stadt gewesen war. Er sah Frauen, Männer und Kinder, die sich nie wieder erheben, nie wieder lachen, weinen oder arbeiten würden und deren Leichen in den Trümmern von einst wundervollen Tempeln und uralten Hallen lagen, die nicht so aussahen, als könnte man sie noch einmal aufbauen.
Lorum, der für sein zartes Alter
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