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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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wenn sie ihm eine Chance gäbe. Panesa hatte ihn als Mitarbeiter der TV Week eingestellt, einer Redaktion, die für die Zusammenstellung und Aktualisierung von Fernsehprogrammen und Kurzkritiken von Filmen zuständig war. Es lag Brazil ganz und gar nicht, über Sendungen zu schreiben, die er sich nie ansehen würde. Seine Kollegen mochte er nicht, ebensowenig seinen übergewichtigen und apoplektischen Redakteur. Hätte man ihm nicht für die nahe Zukunft eine Titelgeschichte versprochen, würde er hier schon lange keine Zukunft mehr sehen. Daher war er seit einigen Tagen immer schon um vier Uhr morgens in der Redaktion, damit er bis mittags seinen Stoff auf dem neuesten Stand hatte.
    Den Rest des Tages schlenderte er dann von Schreibtisch zu Schreibtisch und suchte nach zweitrangigen Geschichten, vor denen sich die eingefahrenen Reporter nur zu gerne drückten. Davon gab es stets reichlich. Von der Redaktion für Handel und Gewerbe war ihm die sensationelle Exklusivmeldung über Ingersoll- Rands neuesten Luftkompressor zugeschoben worden. Brazil war es, der über die Ebony -Modenschau berichten durfte, als sie in die Stadt kam, das Philatelistentreffen und das Weltmeisterschaftsturnier im Backgammon im Radisson Hotel. Er interviewte den Ringer Rick Flair mit seiner platinblonden Mähne, als dieser Ehrengast eines Pfadfindertreffens war. Außerdem hatte Brazil über das Tourenwagen-Rennen »Coca-Cola 600« berichtet und unter dem Röhren der Stock Cars biertrinkende Zuschauer interviewt.
    Innerhalb von fünf Monaten pausenlosen Arbeitens hatte er hundert Überstunden angesammelt und mehr Berichte geschrieben als die meisten von Panesas Reportern. Daraufhin hatte Panesa den Geschäftsführer der Zeitung, den Chefredakteur und den Ressortchef für Reportagen und Features zu einer Sitzung hinter verschlossener Tür gebeten und vorgeschlagen, Brazil nach seinem ersten halben Jahr zum Reporter zu befördern. Panesa hatte Brazils Reaktion auf sein Angebot gar nicht abwarten können. Er wußte, Brazil würde begeistert sein, wenn er ihm einen unbeschränkten Aufgabenbereich anbot. Aber das war nicht der Fall gewesen. Brazil hatte sich bereits bei der Volunteers Academy des Police Department von Charlotte beworben. Die Überprüfungen zur Person hatte er bestanden, und er war eingeschrieben für den Kurs des folgenden Frühjahrs. In der Zwischenzeit, hatte er sich vorgenommen, würde er den langweiligen Job mit der Fernsehzeitung weitermachen, denn da hatte er flexible Arbeitszeiten. Als er von der Beförderung hörte, hatte Brazil gehofft, der Verlag würde ihm die Polizeiberichterstattung übertragen. So könnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, weiter für die Zeitung arbeiten und die Akademie besuchen. Er würde die fundiertesten und intelligentesten Polizeigeschichten schreiben, die die Stadt jemals gelesen hatte. Ließe der Observer sich darauf nicht ein, würde Brazil schon ein anderes Blatt finden oder richtiger Polizist werden. Ganz gleich, was irgendwer darüber dachte, ein Nein würde Andy Brazil nicht akzeptieren. Der Morgen war schwül und heiß. Als er bei Kilometer neun angelangt war und an den eleganten efeubewachsenen Backsteinbauten aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg vorbeilief, rann ihm der Schweiß in Strömen den Körper hinab. Als nächstes passierte er den Unterrichtstrakt des Chambers Colleges mit seiner Kuppel und die Tennishalle, in der er sich mit seinen Kommilitonen Schlachten geliefert hatte, als ginge es um sein Leben. Er hatte alle Energie darauf verwandt, die dreißig Kilometer auf der Interstate 77 bis zur South Tryon Street im Herzen der Stadt vorzurücken, um dort mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Er erinnerte sich, wie er mit sechzehn zum ersten Mal mit dem Wagen nach Charlotte gefahren war. Damals war die Silhouette der Stadt noch übersichtlich und das Zentrum ein Platz gewesen, an dem man sich wohlfühlen konnte. Heute dagegen glich sie eher einem unaufhörlich wachsenden, sich ständig selbst übertrumpfenden Imperium aus Stein und Glas. Er war sich nicht mehr sicher, ob er die Stadt noch mochte. Und ebensowenig war er sich sicher, ob sie ihn mochte.
    Nach dem zwölften Kilometer ließ er sich ins Gras fallen und begann seine Liegestützen. An den kräftigen, wohlgeformten Armen zeichneten sich die Adern ab, die ihre Muskeln mit Energie versorgten. Die Haare auf seinem nassen Körper schimmerten goldblond, das Gesicht war gerötet. Er rollte sich auf den

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