Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Merilyn endlich Toast und Kaffee brachte, war ich so ungeduldig, dass ich ihn hinunterschlang, bevor sie das leere Saftglas abgeräumt, mir einen Kaffee eingeschüttet hatte und in die Küche zurückgekehrt war.
»Ich dachte, Sie hätten keinen Hunger«, stellte sie mit hängenden Mundwinkeln fest.
»Doch. Ich bin nur nervös«, sagte ich.
»Wegen der Schule?« Sie lachte schnaubend. »Was gibt es denn daran nervös zu sein? Sie können doch nicht gefeuert werden«, stöhnte sie und starrte zur Tür. »Ich dachte, ich hätte es gestern Abend gut gemacht.«
»Das haben Sie doch auch«, sagte ich erstaunt.
»Mrs Hudson rief an und sagte mir, ich hätte den Fisch zu lange gekocht und die Kartoffeln austrocknen lassen.« Sie starrte mich eindringlich an. »Haben Sie sich beschwert?«
»Nein«, widersprach ich. »Ich fand alles in Ordnung.«
»Ich auch, aber meine Meinung zählt ja nicht«, maulte sie und kehrte in die Küche zurück.
Ich saß da und trank meinen Kaffee. Großmutter Hudson war wirklich eine sehr unglückliche Frau, entschied ich, und Mama sagte immer, unglückliche Menschen sind ein fruchtbarer Boden für Klagen. In ihrem Garten wachsen Klagen wie Unkraut.
Die Standuhr schlug die halbe Stunde, daraufhin eilte ich
wie ein Stehaufmännchen zur Haustür hinaus. Nachdem ich sie hinter mir geschlossen hatte, blieb ich stehen und drehte mich um, um dem schönen, warmen Tag mit Wolken wie weiße Farbkleckse auf einer blauen Leinwand entgegenzutreten. Als ich meine Augen bedeckte, sah ich Jake Martin an der geöffneten Hintertür des Rolls-Royce stehen. Er trug eine schicke graue Chauffeursuniform mit schwarzer Litze an Ärmelaufschlägen und Kragen und eine Mütze. Bis zu diesem Augenblick war mir nicht klar, dass ich in einem Rolls-Royce zur Schule fahren würde. Ich wurde vom Chauffeur zur Schule gebracht! Ich erstarrte einen Augenblick, meine Füße fühlten sich an, als wären sie mit dem Boden verwachsen. Ich weiß, dass mein Mund weit genug offen stand, um auszusehen, als würde ich Fliegen fangen, wie Mama sagen würde.
Jake lachte.
»Auf geht’s, Mylady«, sagte er mit einer dramatischen Verbeugung. »Sie wollen doch nicht zu spät kommen zu Ihrer Verabredung mit der Direktorin von Dogwood, sonst fallen Sie direkt am ersten Tag in Ungnade.«
Ich lachte und eilte zum Auto. Als wir abfuhren, schaute ich hoch und glaubte Großmutter Hudson zu sehen, die zwischen den Vorhängen zum Fenster hinausspähte.
»Nun, wie war Ihre erste Nacht in Schloss Hudson?«, fragte Jake.
»Sehr ruhig«, sagte ich, »nachdem ichVictoria kennen gelernt hatte, heißt das.«
»Oh,Victoria war da? Was halten Sie von ihr?«
»Mir wurde beigebracht, nichts zu sagen, wenn ich nichts Nettes sagen kann, also warte ich, bis ich es kann«, sagte ich, und er brüllte vor Lachen.
»Hunde, die bellen, beißen nicht«, versprach er. »Meine Güte, heute Morgen hat alles mit Hunden zu tun, was? Bellen? Beißen?«
»Ich habe es kapiert«, schmunzelte ich.
»Wie war denn Ihre frühere Schule?«, fragte er.
»Wie ein Gefängnis. Wir hatten Metalldetektoren und uniformierte Wachen«, sagte ich. »Rundherum erstreckte sich ein Metallzaun, und manche Fenster waren tatsächlich vergittert.«
»Also, dann erwartet Sie eine angenehme Überraschung«, sagte er. Während wir entlangfuhren, hielt er mir wie ein Touristenführer einen Vortrag über Blumen und Bäume, Häuser und Farmen. Er erzählte mir alles über die Dogwoods und warum die Schule nach ihnen benannt worden war. Er hatte Recht, als er mich warnte, dass er viel redete, aber es machte mir wirklich nichts aus. Ich musste mich von dem ablenken, was mir bevorstand.
Aber es gab keine Möglichkeit, mich jemals auf das vorzubereiten, was mich erwartete. Ich wusste nicht einmal, dass wir das Schulgelände betreten hatten, bis Jake mich auf den Reitplatz hinwies.
»Reitplatz? Was soll das heißen? Was ist ein Reitplatz?«, fragte ich.
»Dort übt man, Pferde zu reiten«, erklärte er.
»Pferde? In einer Schule?«
Er lachte wieder.
»Alle Mädchen erhalten Reitunterricht. Das ist Teil ihrer Ausbildung hier«, sagte er.
»Ich habe noch nie ein Pferd geritten. Ich habe nicht einmal eines gesehen außer unter einem Polizisten, im Kino oder im Fernsehen«, gestand ich beklommen.
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Es gibt bestimmt eine Anfängerklasse. Sie müssen nur die richtige Kleidung haben.Vielleicht hat sich Mrs Hudson darum gekümmert«, überlegte
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