Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
manchmal eine richtige Herausforderung war, einander zu mögen.
Diese Familie bildete ein perfektes Beispiel dafür. Anscheinend gab es nicht viel Liebe zwischen meiner Großmutter und meiner Tante Victoria. Zwei Menschen konnten kaum unterschiedlicher sein. Sie waren kaum auch nur höflich zueinander.
Welche Rolle würde ich bei all dem spielen? Ich fühlte mich wie jemand, der Tag und Nacht auf Zehenspitzen über dünnes Eis gehen muss aus Angst, das Falsche zu sagen, worauf der zerbrechliche Untergrund einbrach, der diese künstliche Beziehung trug.
Ich saß auf meinem luxuriösen Bett und schaute mich in meinem wundervollen Zimmer um. Die meisten Mädchen in meiner Schule würden glauben, sie wären im Himmel, aber ich hatte das Gefühl, in eine andere Sorte Käfig geraten zu sein.
Es gibt keine Gitter vor diesen Fenstern, Beni, dachte ich,
als ich mich erinnerte, was sie von The Projects dachte, aber glaube mir, die Menschen, die hier lebten und jetzt hier leben, sitzen genauso in der Falle wie wir. Ich hoffte, ich hatte nicht ein Gefängnis gegen ein anderes eingetauscht.
Ich schaute meinen Kleiderschrank durch und wählte aus, was ich an meinem ersten Tag in dieser neuen Schule tragen würde. Dann ging ich ins Bett und schaute auf dem kleinen Apparat im Kleiderschrank fern, bis meine Augenlider zu schwer wurden, um sie offen zu halten. Als ich den Fernseher und das Licht ausschaltete, lag ich da und hörte dem Schweigen zu.
Wie anders war es hier als in meinem Zimmer in The Projects, wo Beni und ich oft die Geräusche anderer Leute hören konnten, entweder auf dem Flur oder durch die Decken und Wände. Hier gab es keine heulenden Sirenen draußen, keine hupenden Autos. Ich sah, wie der halbe Mond zwischen zwei großen Wolken hindurchspähte, und erblickte einige Sterne. Hier schienen die Sterne wohl heller und größer. So viel vom Himmel sehen zu können, gab mir das Gefühl, kleiner zu sein. Ich stellte mir vor, ich sähe winzig aus in diesem riesigen Bett.
Es gab so viel hier, so viele Gründe, glücklich und zufrieden zu sein, so viele Waffen, mit denen man Niedergeschlagenheit und Traurigkeit bekämpfen konnte. Diese Wände sollten hoch genug sein, um das Unglück draußen zu halten; diese Flure sollten widerhallen vor Gelächter, und die Spiegel sollten blind werden vor Lächeln.Wie einsam meine Großmutter doch sein musste, eingeschlossen in ihrem Zimmer. Die Kluft zwischen uns war so breit wie der Ozean, aber ich glaubte einfach, wenn sie mich aus der Ferne
betrachtete, sah sie etwas, das sie vermisste, etwas, das sie brauchte, etwas, das sie sehr gerne haben wollte.
Genau wie ich.
Die Zeiger der Uhren bewegten sich, ihr Ticken war wie Regentropfen, die auf unsere Ohren fielen und uns daran erinnerten, dass wir uns wünschen konnten, was wir wollten, aber wir konnten das Morgen nicht fern halten.
KAPITEL 12
Im Rampenlicht
I n dem Moment, als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sich mein Magen an, als wäre er in eine Popcornmaschine verwandelt worden. Meine elektrisierten Nervenenden explodierten in kleinen Ausbrüchen nervöser Energie. Die Sonne schien heller durch mein Fenster, als ich erwartet hatte. Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fast, dass ich beinahe verschlafen hätte. Schnell sprang ich aus dem Bett, duschte, zog meinen neuen schwarzen Rock und ein Kaschmirtwinset an und tat mein Bestes mit meinen Haaren in der kurzen Zeit, die mir noch geblieben war, bevor ich zum Frühstück hinuntereilen musste. Als ich den Speiseraum betrat, stellte ich fest, dass mir mein Orangensaft bereits eingegossen worden war. Sobald ich mich hinsetzte, erschien Merilyn in der Küchentür wie das Vögelchen in einer Kuckucksuhr.
»Was hätten Sie gerne zum Frühstück?«, fragte sie, ohne guten Morgen zu sagen. »Eier, Cornflakes,Toast? Wir haben auch Weckchen und Speck.«
»Oh, nein, Merilyn. Ich kann heute Morgen nicht viel essen. Nur etwas Toast und Kaffee.«
»Butter und Marmelade?«
»Ja, bitte.«
Sie ging in die Küche zurück. Ich saß ungeduldig da.Warum
konnte ich mir nicht selbst das Frühstück fertig machen? Ich hatte Angst, das vorzuschlagen, aus Furcht, ein weiteres ungeschriebenes Gesetz des Hauses zu verletzen. Außerdem wollte ich vermeiden, dass Merilyn dachte, ich versuchte ihre Rechte zu beschneiden. Auf einem Kotflügel sitzen wäre genauso unbequem, dachte ich, während ich unbehaglich hin- und herrutschte und mit den Fingern auf den Tisch trommelte. Als
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