Die Hueter Der Rose
vor sieben Jahren einen Bastard geboren hatte, war die Kluft zu ihren Nachbarn spürbarer geworden. Ihr Sohn besuchte inzwischen auf Raymonds Kosten die Klosterschule von St. Thomas. Gewiss war Liz manchmal einsam. Aber sie beklagte sich niemals, und sie stellte keine Forderungen.
Jetzt allerdings sagte sie mit leisem Vorwurf: »Du hast mir schon wieder ein Kleid zerrissen.«
Er zuckte unbekümmert die Schultern. »Ich kauf dir ein neues.«
»Ich bin keine Hure, Mylord«, erklärte sie ohne Schärfe und nahm ihren kleinen Kessel vom Feuer.
»Nein, ich weiß«, erwiderte er ernst. »Ich will ja nur den Schaden wieder gutmachen, den ich angerichtet habe.«
Sie seufzte in komischer Verzweiflung. »Das dürfte unmöglich sein.«
Er lachte, löste ihren Haarknoten und breitete die blonde Pracht um ihre Schultern aus. Dann zeigte er mit dem Finger auf das ramponierte Kleid. »Zieh es aus, he? Damit es nicht noch mehr leidet.«
»Du meine Güte, was hast du vor? Was ist mit dir? Gibt es am Hof mit einem Mal nur noch tugendhafte Jungfrauen?«
»Hm.« Er brummte. »Mehr, als mir lieb sind.« Rosalind Scrope, zum Beispiel. Er hatte sich redlich bemüht, aus der Lüge Wahrheit zu machen, aber Rosalind hatte ihm eisern widerstanden. Das hatte er immer noch nicht so ganz verkraftet. Tugendhafte Mädchen – egal ob Jungfrau oder nicht und ganz gleich von welchem Stand – waren für Raymond of Waringham mehr eine Herausforderung als ein Heiligtum. »Da fällt mir ein: Wer ist die Unschuld, die meinem Vater das Essen aufträgt?«
»Maud. Sie ist eine Base der Frau eures Försters, und ihr Vater war einmal Heuwart in dem Jahr …«
»Das wollte ich eigentlich nicht wissen«, warf er trocken ein.
»Ihre Eltern sind letzten Winter beide am Lungenfieber gestorben. Da hat deine Schwester sie auf der Burg untergebracht.« Sie zögerte einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Lass die Finger von ihr, Raymond. Ich bitte dich. Sie hat niemanden mehr auf der Welt, aber ich weiß, dass deine Schwester ihr einen guten Mann suchen wird. Verdirb ihr nicht alles, hm?«
Er verdrehte ungeduldig die Augen. »Was war nun mit deinem Kleid?«
Liz tat ihm den Gefallen. Gänzlich ungeniert zog sie das schlichte Gewand aus dem blaugrauen Tuch, das die Bauern selbst herstellten, über den Kopf, faltete es sorgsam und legte es auf einen Schemel am Tisch. Raymond bewunderte andächtigihre schimmernde Haut und die üppigen Rundungen. Dann nahm er den langen Mantel ab, breitete ihn vor dem Feuer im Stroh am Boden aus und zog Liz darauf hinab. Sie legte sich auf die Seite, stützte den Kopf in die Hand und sah zu, wie er sich das feine Surkot auszog.
»Sehr elegant«, bemerkte sie.
»Hm. Ich habe mich heute früh geschlagen, und ich meine, sowohl zum Sterben als auch zum Töten sollte man angemessen gekleidet sein. Wie sich herausstellte, war der Aufwand allerdings unnötig. Kein Tropfen Blut ist geflossen.«
Liz schüttelte verwundert den Kopf. Sie versuchte so oft, sich sein Leben bei Hofe vorzustellen, aber sie scheiterte jedes Mal. Das war eine Welt, die ihr so fremd war, dass sie sie sich einfach nicht ausmalen konnte. »Wie lange bleibst du in Waringham?«, fragte sie.
Er hob die Schultern, während er die Stiefel abstreifte. »Das kommt darauf an, was mit John wird. Aber spätestens zu Ostern muss ich zurück. Der Ostersonntag fällt dieses Jahr auf St. Georg, und es wird ein rauschendes Fest geben in Windsor.«
»Wie geht es John?«
»Schlecht.« Er raufte sich die Haare. »Fürchterlich, wenn du’s genau wissen willst. Er ist der zweite Grund, warum ich zu dir gekommen bin. Kannst du mir eine Salbe für seine Brandwunden mitgeben? Und ihn dir morgen vielleicht einmal anschauen?«
»Natürlich. Wenn dein Vater nichts dagegen hat.«
»Ach was. Du kennst ihn doch. Ich meine, Agnes war seine Schwester.«
»Nein, ich meinte nicht, dass er mich für eine Hexe hält. Aber er missbilligt unsere …« Ihr fiel kein Wort dafür ein. »Er denkt, ich bin schuld, dass du noch nicht geheiratet hast.«
Raymond gluckste unwillkürlich. »Das denkt er nicht, glaub mir.« Sein Vater kannte ihn besser. »Es besteht kein Grund, dass du dich vor ihm fürchtest. Es ist der weiße Bart, der ihn so weise und würdevoll wirken lässt …« Er dachte einen Momentnach. »Vermutlich ist er das sogar. Weise und würdevoll. Aber er ist ein gutmütiger alter Knabe, sei versichert.«
Sie schien beruhigt. »Natürlich werde ich mir deinen Bruder ansehen und ihm
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