Die Hueter Der Rose
feststellen, dass sie keine Worte für das fanden, was sie sich eigentlich sagen wollten. Unbeholfen murmelte Somerset schließlich: »Gott schütze dich. Komm heil zurück.«
John senkte den Blick. »Erst einmal muss ich heil hinkommen. Alle Waringhams leiden an Seekrankheit.«
»Dann spuck nicht gegen den Wind.«
Harfleur, September 1415
W aringham, was in drei Teufels Namen tust du da?«
John hob den Kopf und klappte sein Büchlein zu. »Bei euch Wilden in Wales gibt es so etwas wie Bücher nicht, nein?«
Tudor breitete die Arme aus und sah zum wolkenlosen Himmel auf. »Die Erde zittert vom Kanonendonner, die verdammten Franzosen übergießen uns mit brennendem Schwefel,unsere halbe Armee krepiert an der Ruhr, die ganze Welt geht zum Teufel, und er sitzt da und liest !«
»Beruhige dich. Noch ist nicht die halbe Armee krepiert. Ungefähr tausend Mann, hörte ich meinen Bruder gestern zum Duke of Gloucester sagen, und noch einmal so viele seien so krank, dass sie sie heimschicken müssen. Und dann hat er gesagt, er sei sicher, dass die Stadt vor dem Monatsende fällt. Er hat Gloucester sogar eine Wette darauf angeboten, aber der Bruder des Königs glaubt selbst, dass die Garnison nicht mehr lange durchhält. Du siehst also, unsere Lage ist alles andere als hoffnungslos.«
Johns Gelassenheit war nur papierdünn.
Einen Monat währte seine Bekanntschaft mit dem Krieg jetzt. Jeden Morgen zogen König Harry, seine Ritter und die einfachen Soldaten vor die Mauern von Harfleur, um es zu belagern, und man wusste nie, ob sie abends wiederkehren würden. Die ständige Sorge um den König und um Raymond begann John allmählich zu zermürben. Es war viel zu heiß für die Jahreszeit, die Vorräte waren teilweise verdorben und die Latrinen ein Albtraum. Die Ritter und Soldaten waren ungewaschen und übellaunig, ihr Ton rau. John hatte gewusst, dass der Krieg schmutzig und abscheulich sein konnte, doch er hatte geglaubt, dass die Schönheit der Heldentaten das aufwiege. Nur hatte er bislang noch keine gesehen, und so war die einzige Schönheit, die er finden konnte, die der Verse in seinem Büchlein. Alles an diesem Feldzug war abstoßend, und John litt an Schwermut. Er wünschte sich insgeheim, er bekäme auch die Ruhr und dürfte mit den Kranken nach Hause.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Am siebzehnten August waren sie mit fünfzehnhundert Schiffen von Southampton aufgebrochen, an Bord neuntausend Mann, fünftausend Pferde, Kanonen, Belagerungsmaschinen, Ausrüstung und Proviant, und die Trinity , das stolze Schiff des Königs, segelte vorneweg. Die Flotte war ein erhebender Anblick gewesen, und zu seiner unbändigen Freude hatte John festgestellt, dass er offenbar der erste Waringham seit Menschengedenken war, der nicht seekrank wurde.
Ohne auch nur einen französischen Soldaten zu sichten, waren sie in der Seine-Mündung gelandet und unbehelligt nach Harfleur gezogen, jener Stadt, die die Kommandanten »den Schlüssel zu Frankreich« nannten. Doch obwohl der Konnetabel – der Oberbefehlshaber der französischen Armee – am Südufer der Seine hockte und der Dauphin in Rouen und keiner von beiden sich bislang gerührt hatte, belagerte die englische Armee Harfleur nun schon seit über drei Wochen erfolglos. Die ganze Stadt war von einer dicken Ringmauer umgeben. Der bewässerte Graben war zu breit, um einen Rammbock gegen die Tore einzusetzen. Die englischen Truppen versuchten, die Mauer zu unterminieren, doch die Franzosen schütteten die Tunnel von innen wieder zu oder untergruben sie, sodass sie einstürzten und die Engländer verschütteten. Jeden Schaden, den die Kanonen den Mauern zufügten, hatten die Verteidiger bis zum nächsten Morgen ausgebessert. Selbst Harrys größtes Geschütz, »des Königs Tochter« genannt, hatte bislang nichts ausrichten können.
Derweil lagerte die englische Armee im sumpfigen Umland der Stadt. Heiß und stickig war es dort – ein idealer Nährboden für Fliegen, Mücken und Krankheiten. Schon nach einer Woche waren die ersten Fälle der schrecklichen Durchfallerkrankung aufgetreten, und inzwischen war die Ruhr eine Epidemie.
»Der Earl of Suffolk ist tot«, berichtete Tudor.
John nickte wortlos. Es verging kaum ein Tag mehr, ohne dass irgendjemand starb, der einen berühmten Namen trug.
»Heute Abend wird der König Suffolks Sohn zum neuen Earl erheben.«
»Michael de la Pole?«, fragte John verwundert. »Aber er ist noch keine einundzwanzig.«
Tudor hob kurz die
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