Die Hueter Der Rose
oder siebzehn bin.«
Wie eigenartig, dachte John. In England trug ein Edelmann das Geburtsdatum seiner Söhne und manchmal auch seiner Töchter mitsamt den Namen der Paten in seiner Familienbibel ein. Die Waliser waren tatsächlich seltsam. Sehr. »Was ist eigentlich mit deinem richtigen Vater?«, fragte er.
»Kurz vor meiner Geburt verführte er die Frau eines anderen und erschlug ihn im Streit. Er musste in die Berge fliehen und wurde nie mehr gesehen.«
John nickte und verbarg seine Missbilligung. »Hast du Geschwister?«
»Nein. Meine Mutter war guter Hoffnung, als sie auf die Klippe stieg.«
John schnalzte mit der Zunge. Nach einem kurzen Schweigen fragte er: »Und von ihr hast du das Kreuz? Sie hat es dir gegeben, bevor sie sprang, und dich schwören lassen, dich von deinem Hitzkopf nicht zu unbedachten Fehden verleiten zu lassen wie dein Vater?«
Zum ersten Mal verlor Tudor diese unheimliche Ruhe, mit der er all das erzählt hatte. »Woher weißt du das?«, fragte er scharf.
John hob begütigend die Hände. »Geraten. Immer, wenn du jemandem am liebsten die Kehle durchschneiden möchtest – also etwa ein Dutzend Mal im Laufe eines Tages –, legst du die Hand auf das Kreuz und besinnst dich.«
Tudor lächelte flüchtig und nickte. »Dir entgeht nicht viel, he?«
»Und was wurde danach aus dir?«
»Nein, nein. Du bist an der Reihe. Erzähl mir von deiner Mutter.«
Im Vergleich zu Tudors Geschichte klang die seine geradezu belanglos. »Sie ist auch gestürzt. Nur auf der Treppe, aber unten war sie ebenso tot wie deine.«
Tudor betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Du brauchst nicht so zu tun, als ob es dir nichts ausmacht. Das passt nicht zu dir.«
John verzog den Mund und wandte den Kopf ab. »Nur raus damit. Weichlicher, englischer Jämmerling. Das ist es doch, was du denkst, oder?«
»Ich glaube eher, das ist es, was du denkst«, entgegnete Tudor. Vielleicht, weil dein Bruder es denkt, fuhr es ihm durch den Kopf. Oder zumindest meinst du das. Aber das sprach er nicht aus. Er wusste, dass John nicht gern über das Zerwürfnis mit Raymond redete, weil es ihn beschämte. Wie so vieles an John und den Engländern überhaupt konnte Tudor das nicht verstehen, aber das war ja auch nicht nötig, hatte er erkannt. John of Waringham war ihm ein Rätsel, aber trotzdem ein anständiger Kerl.
Gänzlich gegen ihren Willen waren sie Freunde geworden, hatten sich anfangs beide geweigert, einzugestehen, dass es passiert war. Doch ihre Liebe zu Pferden und die geheimnisvolle Gabe im Umgang mit ihnen, die ihnen beiden angeboren war, hatten sich als zu starkes Band erwiesen.
Wie an jedem Tag seit dem Beginn der Belagerung machten sie sich auch jetzt in schweigender Eintracht an die Arbeit. Die Tiere waren nervös und rastlos. Sie bekamen nicht genug Bewegung, hatten nicht ausreichend Platz, und jedes Mal, wenn eine Kanone donnerte, zuckten sie zusammen. Doch dank Johns und Tudors Pflege war noch keines eingegangen, und die Tiere wussten genau, was sie an ihnen hatten. Sie stupsten die Jungen vertrauensvoll mit den Nüstern an, blickten ihnen aus klaren, undurchschaubaren Augen entgegen, sobald sie ihren Schritt oder ihre Stimmen hörten.
Als die beiden Knappen bei Einbruch der Dämmerung insLager zurückgingen, um zu sehen, welche Abscheulichkeiten die Lagerköche ihnen heute Abend zuzumuten gedachten, trafen sie auf Tudors Stiefvater, den alle Welt Davy Gam nannte.
Die beiden Waliser schlossen sich kurz in die Arme, denn Davy Gam hatte unter dem Duke of Clarence bei den Belagerern auf der Ostseite der Stadt gekämpft, und sie hatten sich tagelang nicht gesehen. Sie wechselten ein paar hastige Worte – offenbar war Davy in Eile. John war diskret zurückgeblieben, lauschte aber ungeniert dieser fremdartigen Sprache, die wirklich nicht die allergeringste Ähnlichkeit mit Englisch hatte.
Während Tudor und Davy noch beisammen standen, kam der König in Begleitung einiger Lords und Ritter ins Lager geritten.
John trat zu ihm und hielt ihm den Steigbügel.
Bemerkenswert behände für einen Mann in voller Rüstung glitt Harry vom Pferd und nahm den Helm ab. Feucht klebte ihm das Haar an Stirn und Wangen. »Diese verfluchte Hitze …«, murmelte er, zog die Handschuhe aus und fuhr sich mit der Linken über den verschwitzten Schopf. Helm und Handschuhe drückte er John in die Finger, ehe er sich an den Waliser wandte. »Nun, Davy? Was gibt es Neues auf der Ostseite?«
»Gutes und Schlechtes, Mylord.« Davy Gam
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