Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
Vom Netzwerk:
hatte. Er holte tief Luft und berührte einen.
    »Abschied«, sagte er mit der Stimme der Toten, und während er sprach, überfluteten ihn die Bilder wie Erinnerungen voller Verrat und Blut. »Frau. Veränderung. Der leere Stein.«
    Schwer atmend saß er da, froh, dass es vorüber war. Er mied Flax’ Blick. Aber Flax war als Wanderer geboren und groß geworden, und seherische Fähigkeiten, in welcher Form sie auch auftauchten, waren ein Teil seiner Welt. Er nahm Ashs Stimme hin, ohne einen weiteren Kommentar abzugeben, und schaute nachdenklich auf den leeren Stein.
    »Also, das heißt, dass alles Mögliche passieren kann, ja?« Ash hielt inne. Der leere Stein bedeutete dies in der Tat, aber die Steine sagten ihm etwas anderes. Tod, sagten sie, Mord. Doch diese Steine befanden sich nicht auf dem Tuch. Was also sollte er Flax sagen? Wie viel sollte er sagen? Vielleicht handelte es sich ja gar nicht um Flax’ Tod, sagte er sich, auch wenn er in Wirklichkeit davon überzeugt war. Aber wenn der Todesstein nicht hier war … vielleicht sollte Flax es dann nicht wissen … Ash hätte schreien können vor Frustration. Das hier sollte doch ein Testlauf sein und nicht eine so widersprüchliche Deutung! Dann erinnerte er sich an Martines Stimme: »Beantworte die Frage. Mach nicht den Fehler, den ich begangen habe … Gib ihnen nicht mehr als das, um das sie gebeten haben.«

    »Ich sehe keine …« Den Göttern sei Dank war es wieder seine eigene Stimme. Vielleicht erklang die andere Stimme nur dann, wenn er die Steine berührte oder sie benannte. »Ich sehe keine Hochzeit«, sagte er und bemühte sich, in Anbetracht dieser Untertreibung nicht in hysterisches Gelächter zu verfallen. »Doch die Wege trennen sich.« Eine große Trennung, aber vielleicht keine endgültige. Vielleicht war es ja das, was der leere Stein bedeutete.
    Flax kratzte sich am Kinn. Es war eine Bewegung, die ihn eigentümlich alt wirken ließ. »Zeit«, sagte er.
    »Ja«, erwiderte Ash, überzeugt davon. »Monate, mindestens.«
    Flax ließ seine Hand los. »Monate«, wiederholte er in einem Tonfall, der zum Ausdruck brachte, dass es genauso gut Jahre hätten sein können. »Ich dachte … da war mal vor einiger Zeit ein Flickschuster, der sie heiraten wollte. Ich dachte bloß … aber wohl nicht, hä?«
    Ash schob die Steine wieder in den Beutel zurück. Es waren nun wieder bloß Stückchen von Felsen mit Markierungen darauf. Das war alles. Der Ansturm von Gefühlen, von Bildern und Gerüchen und dem, was wie Erinnerung gewirkt hatte, war verebbt. Ash fühlte sich leer und müde.
    »Also, ich glaube nicht, dass ein normaler Steinedeuter so eine Stimme hat«, sagte Flax. »Sie könnte ein wenig Aufregung hervorrufen.«
    Er hatte Recht. Kein Mensch würde einen Steinedeuter aufsuchen, der seine Antwort knirschend hervorbrachte, wie Stein auf Stein, wie der Tod selbst. Auf ihrem Weg zur Tiefe durften sie auf gar keinen Fall Aufmerksamkeit auf sich lenken.
    »Mist und Pisse!«, fluchte Ash. All seine viel versprechenden Pläne stürzten ein wie ein Kartenhaus. Selbst diese Begabung nutzte ihm nichts. »Geh schlafen!«, schnauzte
er Flax an, als sei alles dessen Schuld. Flax grinste und rollte sich in seine Decke ein, als wäre alles in bester Ordnung.

    Am nächsten Tag waren sie unterwegs sehr vorsichtig, da sie nun Gabriston näher kamen. Obwohl sich Flax darüber beschwerte, schlugen sie am Abend ein Zelt auf, statt einen der Dorfgasthöfe aufzusuchen.
    »Wir brauchen kein Silber mehr. Es ist am besten, wenn wir keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen«, sagte Ash. »So macht man das, wenn man die Tiefe aufsucht. Keine Aufmerksamkeit erregen.«
    Andernfalls würde irgendwann jemandem auffallen, dass ständig Gruppen von Wanderern auf dem Weg in die Wildnis durch Gabriston kamen, und das würde Fragen aufwerfen. Das würde den Tod bedeuten für jemanden - entweder für den Fragesteller oder den Befragten. Das sagten die Dämonen.
    In jedem Dorf, durch das sie am folgenden Tag kamen, kauften sie kleine Mengen Lebensmittel, bis ihre Satteltaschen prallvoll waren, sodass sie um Gabriston herum in die Wildnis reiten konnten, ohne bemerkt zu werden.
    Mittlerweile hatten sie das Kornland verlassen und befanden sich in den Weingärten der North Domain, die von der Klippe bis zur Bucht berühmt für ihre guten Weine waren. Flax schielte wehmütig nach den Gasthäusern, doch Ash blieb standhaft.
    »Auf dem Rückweg vielleicht. Vielleicht, wenn alles gut geht. Aber kein

Weitere Kostenlose Bücher