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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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vernünftiger Mann geht angetrunken in die Tiefe.«
    Die Weinstöcke waren auf derart steilen Hängen gepflanzt, dass diese an manchen Stellen terrassiert worden waren, um mehr ebenen Untergrund zu schaffen. Je näher sie der Wildnis kamen, desto rauer wurden die Anhöhen und
desto weniger dicht wuchs der Wein. Schließlich gelangten sie an einen Felsvorsprung, der einen Blick auf die Wildnis gewährte. Sie war ein Geflecht aus Schluchten und Abgründen, von Wasserläufen zerschnittenen Klammen und Sackgassen, allesamt aus dem roten Sandstein geformt, der weiter flussabwärts gebrochen und in alle Domänen verschickt wurde. In den Häusern reicher Kaufleute in Turvite hatte Ash kunstvoll gemeißelte Kaminsimse und Brüstungen aus diesem schönen Stein gesehen, mit mäanderförmig verlaufenden, goldenen und blutroten Streifen. Der Sandstein war wunderschön, aber sein Anblick hatte Ash stets nervös gemacht, da er ihn an die Tiefe und an die Frühjahrs-Tagundnachtgleiche erinnerte.
    Die Schluchten der Wildnis waren über tausende von Jahren vom Wasser geformt worden, schon lange bevor Actons Leute in die Domänen gekommen waren. Jedes Frühjahr hatten sich die Sänger und Dichter hier eingefunden, hatte sein Vater erzählt. Das Frühjahr, wenn die Dinge wieder in Fluss kamen, sei die Zeit für Musik und Geschichten, sagte er. Der Sommer sei die Zeit für jene, die ein Gewerbe betrieben, das mit Lebenden zu tun hatte, also etwa die Pferdeausbilder, Tierheiler und Viehtreiber. Der Herbst sei dem Gewerbe vorbehalten, das mit leblosen Dingen zu tun hatte, wie Kesselflickern, Malern und Trockensteinmaurern. Der Winter gehöre dem Holzgewerbe, den Schnitzern, Zimmerern und Drechslern, den Stuhlmachern und Korbflechtern. Jedes Gewerbe hatte seine Zeit, seine von den Göttern zugewiesene Zeit für die Tiefe. Außer Schutzwachen, dachte Ash jetzt, während er zusah, wie der Wasserlauf unterhalb des Felsvorsprungs über die roten Felsen sprang und sie in Wirbeln drehend umspülte. Vielleicht gehörte er selbst ja dem Gewerbe der Hirten an. Er lachte kurz und stupste Mud leicht mit den Hacken an. Die Sonne ging unter. Es war Zeit für die Tiefe.

Saker
    Saker hatte beschlossen, sich so weit wie möglich von Carlion zu entfernen, bevor er sich auf die Suche nach weiteren Knochen machte. Doch ganz gleich, wohin er ging, die Leute machten sich Sorgen. Sie versammelten sich in Gasthöfen, unterhielten sich aufgeregt und riefen einander laut zu, um sich den einen oder anderen Teil einer Geschichte bestätigen zu lassen, verschreckt, verärgert. Oder sie schlossen sich in ihren Häusern ein.
    Wann immer er an einem schwarzen Felsaltar vorbeikam, brachten die Menschen dort den Göttern Opfergaben und beteten inständig. Sinnlos, hätte er ihnen sagen wollen. Die Götter haben mich geschickt. Einmal war eine Wandererfamilie am Altar, und er hätte stehen bleiben und ihnen sagen wollen: »Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Wenn ihr euch heraushaltet, wird euch kein Haar gekrümmt.« Aber natürlich konnte er das nicht tun, ohne sich selbst zu verraten.
    In jedem Dorf, durch das er kam, waren Männer wie Frauen auf der Straße, um Läden auf die Fenster zu nageln oder Türriegel anzubringen. Zimmerer hatten auf ihren Werkstatttüren die Nachricht angebracht: Ausgebucht!
    Schmiede fertigten Waffen statt Hufeisen. Die einheimischen Offiziere, die im Namen des Kriegsherrn große Teile des Landes befehligten, hatten ihre Sergeants losgeschickt,
um die Eidknappen einzuziehen, die nur murrend damit aufhörten, ihre Cottages zu verbarrikadieren.
    All dies hätte dazu beitragen müssen, dass er ein Gefühl des Triumphes empfand. Er hatte dies vollbracht. Er , Saker, hatte all diesen Menschen einen Schrecken eingejagt. Ein Teil von ihm wünschte sich, sein Vater könne hier sein, um es mit anzusehen. Aber … so hatte er das hier nicht gewollt. Die Verwirrung - sonderbarerweise hatte er sich nie vorgestellt, dass sein Werk Verwirrung hervorrufen würde. Schrecken, ja. Schrecken in der Nacht und einen Moment später sauber ausgeführter Mord, das hatte er erwartet. Das Töten war notwendig, um das Land den Eindringlingen wieder zu entreißen. Aber Unruhe, und dann auch noch diese landesweite Unruhe, damit hatte er nicht gerechnet, und es fühlte sich falsch an.
    Er wusste, was sein Vater dazu sagen würde: Du hast es einfach nicht durchdacht, Junge! Das hatte er häufig zu Saker in dessen Kindheit gesagt, wenn Saker ungestüm etwas vorgehabt

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