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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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zum Sonnenuntergang Zeit, um unsere Toten zu begraben und die Stadt zu verlassen. Ich denke, wir können von Glück reden, dass wir so viel Zeit haben.« Sie streckte die Hände zu dem Kleinkind aus, woraufhin dieses sich ihr glückselig in die Arme warf.
    »Dein Sohn ist auf dem Boot in Sicherheit«, sagte Snapper. »Nun ist es Zeit, sich um die Toten zu kümmern.«
    Diese Worte besänftigten Piper, worüber Bramble froh war. Dann begriff sie, dass jemand, der sich lieber mit Leichen befasste als mit lebendigen Gefühlen, in jüngster Zeit sehr viele Leichen gesehen haben musste. Diese Frau war daran gewöhnt. Bramble dachte, wie sehr wohl Actons Männer daran gewöhnt waren. Bramble tauchte ja immer nur kurz in ihr Leben ein, wohingegen sie kämpften, auch wenn Bramble nicht zuschaute. Vielleicht hatten sie sich so sehr an den Tod gewöhnt, dass dieser sie nicht einmal mehr berührte. Vielleicht bemerkten sie ihn nicht einmal. Galt das auch für Acton?

    Das war ein beunruhigender Gedanke, und sie verdrängte ihn und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Piper. Diese verließ nun mitsamt der Gruppe Frauen, die zugeschaut hatten, wie das Boot in See stach, langsam den Hafen, um den Hügel, an dem Turvite lag, hinaufzusteigen. Dieser Ort war nicht so, wie Bramble es sich vorgestellt hatte.
    Wo war die großartige und ruhmreiche Stadt, in der Acton seinen triumphalen Sieg errungen hatte? Die Lieder berichteten allesamt von Turvites Pracht - außer in einem jener ganz alten, das nur die Geister erwähnte. Hier war keine Pracht. Turvite war kaum mehr als ein Dorf. Größer als ihr Heimatdorf Wooding, zugegeben, aber auch nicht viel, und es unterschied sich von diesem hauptsächlich durch die Zahl der Bäume, die zwischen den Häusern wuchsen.
    Unten am Hafen gab es keine Docks. Die Boote - kleine, einmastige Fischerschmacken - waren auf den schmalen Kiesstrand hochgezogen worden. Es gab ein paar Holzhäuser, eine Reihe von Hütten, ein paar Buden nahe am Strand, doch keine großen Gebäude und anscheinend auch keinen Stadtkern.
    Piper und Snapper und die anderen Frauen gingen über ein offenes Gelände, das von Eichen umgeben war. Bäume, die hier, im Einzugsbereich der salzigen Meeresbrise wuchsen, mussten sorgfältig gepflegt worden sein. Bramble spürte den Ruf der Götter in ihrem Kopf. Die Frauen neigten in beiläufiger Vertrautheit den Kopf in Richtung eines Altars, doch eine von ihnen, in den hinteren Reihen der Gruppe, spuckte im Vorbeigehen auf den Boden.
    »Wofür, verdammt noch mal, sind sie eigentlich gut?«, fragte sie wütend, während die anderen sie befremdet anschauten. »Unseren Männer haben sie nicht das Leben gerettet, oder?«
    »Das ist nicht ihre Aufgabe, Crap«, sagte Snapper. Bramble
spürte, wie die Götter ihre Aufmerksamkeit zustimmend auf Snapper richteten. »Menschen sterben«, fuhr sie fort. »Alle sterben. Warum sollen sie sich also etwas daraus machen? Für sie machen Monate und Jahre keinen Unterschied. Ihre Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass es zu Wiedergeburten kommt. Dass das Leben weitergeht.«
    »Das ist leicht dahergesagt«, knurrte Crab wütend, drängte sich dann an ihnen vorbei und ging in großen Schritten den Hügel hinauf. Die Frauen sahen ihr hinterher.
    »Sie ist schwanger«, sagte eine dünne, ältere Frau. »Und sie hat heute ihren Mann, ihren Bruder und ihren Vater verloren.«
    »Das haben wir alle.« Snapper seufzte.
    Sie setzten ihren Weg fort und gingen dabei durch den Schutz der Eichen zurück auf die Hauptstraße der Stadt. Einige der Frauen weinten leise, andere hatten ein unbewegtes Gesicht. Einige trugen den ausdruckslosen Blick des Schocks und wurden von anderen geführt. Auf halbem Weg ging die Tür eines Hauses auf, und eine Frau trat hinaus. Dunkelhaarig, natürlich, und ein bisschen beleibt, vielleicht fünfzig oder älter. Eine Frau, die sich so bewegte, als sei sie so felsenfest von ihren Fähigkeiten überzeugt, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, bei irgendetwas zu versagen. Sie hatte ein Messer in der Hand; ein schwarzes Steinmesser, das sie so fest umklammerte, als wolle sie es nie mehr loslassen.
    »Tern!«, sagte Snapper freudig.
    Pipers Herz setzte einen Schlag aus, als sie Tern anschaute, als habe sie sich erschreckt. Doch sie trat mit den andern Frauen vor und murmelte eine Begrüßung. Bramble fiel auf, dass sie einen deutlichen Abstand zwischen sich und Tern einhielten. Bei dieser Frau gab es keine Umarmungen, keinen

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