Die Hueterin der Krone
sich argwöhnisch, aber ehrerbietig. Die Bauern hatten Distanz gewahrt, die Großgrundbesitzer und Burgenherren hatten ihr ihre Reverenz erwiesen, was sie als gutes Zeichen wertete.
Als Matilda sich den Stadtmauern näherte, verdrängte sie einen Anflug von Beklommenheit und straffte sich. Argentan war ihr rechtmäßiges Eigentum. Sie kam nicht als Bittstellerin, sondern als Herrin.
Ihre bevorstehende Ankunft musste gemeldet worden sein, denn die Tore standen weit offen, und eine Abordnung von Rittern mit Bannern kam in Zweierreihen auf sie zu. An der Spitze ritt der Marschall Warin Algason, ein ernster Mann mittleren Alters, der genauso kräftig und solide wirkte wie sein großes geschecktes Pferd.
»Herrin, ich heiße Euch willkommen.« Algason stieg ab und kniete vor ihr nieder. Die Ritter folgten seinem Beispiel mit klirrender Rüstung. Er bot ihr die Schlüssel der Burg dar.
Matilda bedeutete ihm, sich zu erheben und zu ihr zu kommen, dann tauschte sie den Friedenskuss mit ihm und nahm die Schlüssel entgegen.
»Was gibt es Neues?«
Algason schüttelte den Kopf. »Aus Rouen haben wir nur vom Tod Eures Vaters gehört, Herrin, sonst nichts.«
Sie erwiderte nichts darauf, zog es vor zu warten, bis sie zu der Festung geleitet und in ein bequem ausgestattetes Privatgemach geführt worden war. Ihre Zofen holten warmes Wasser, damit sie sich Gesicht und Hände waschen konnte, und Algason ließ Wein und Pasteten bringen.
»Ihr solltet wissen, Herrin, dass Euer Herr Vater mich angewiesen hat, Euch im Falle seines Todes die zu Eurer Mitgift gehörenden Burgen zu übergeben.«
»Ein Jammer, dass er das nicht schon zu seinen Lebzeiten getan hat«, versetzte sie scharf, fühlte sich aber insgeheim bestätigt, dass ihr Vater ihr trotz allem die Krone zugedacht hatte.
Algason schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. »Es war meine Pflicht, ihm zu gehorchen, so wie ich jetzt Euch gehorche.«
»Und wenn er Euch befohlen hätte, die Tore zu schließen und mich nicht einzulassen, hättet Ihr dann auch gehorcht?«
»Ich bin ein einfacher Mann, Herrin. Ich befolge meine Befehle und halte meinem Lehnsherrn die Treue. Mein Leben gehört jetzt Euch.«
Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Er behauptete, ein einfacher Mann zu sein, und das traf in gewisser Hinsicht vielleicht auch zu, aber das hieß nicht, dass es ihm an Intelligenz mangelte. Er war Marschall, demnach also auch ein guter und erfahrener Soldat, der mehrere Aufgaben zugleich bewältigte. Ferner hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass sie keinen Grund hatte, an seiner Loyalität zu zweifeln, und sie war geneigt, ihm zu glauben.
Jetzt, wo sie sich in Sicherheit wusste und ihre Burgen für sich beansprucht hatte, schlug die Erschöpfung wie eine Welle über ihr zusammen. Sie konnte nur abwarten, sich ausruhen und sich für den entscheidenden Moment wappnen.
Zwei Tage später traf ihr Bruder Reynald auf einem vor Müdigkeit stolpernden Pferd in Argentan ein. Unter seiner Satteldecke waren zwei verzierte Lederschatullen verborgen, und obwohl sein Gesicht grau vor Erschöpfung war, funkelten seine Augen triumphierend.
»Ich dachte, ich wäre zu spät gekommen«, sagte er, als er die Schatullen in ihre Kammer brachte. »Als ich in Rouen ankam, waren sie aus der Schatzkammer der Abtei verschwunden, doch dann stellte sich heraus, dass Königin Adeliza sie in Sicherheit gebracht hatte, und sie war sofort bereit, sie mir auszuhändigen. Sie sagte, du und dein Sohn seien ungeachtet anderer Entscheidungen die rechtmäßigen Besitzer, und niemand sonst solle sie haben.« Er verzog das Gesicht. »Sie übergab sie mir in ihrem Privatgemach und bat mich, unverzüglich aufzubrechen. Ich musste mich beeilen, weil die Tore schon für die Nacht geschlossen wurden, aber die Königin gab mir einen Geleitbrief mit dem Siegel des alten Königs mit, daher ließen mich die Wachposten passieren. Ich bin die ganze Nacht hindurch geritten, habe die Pferde gewechselt und bin wieder den Tag durchgeritten, um rechtzeitig hier zu sein.«
Matilda strich mit den Händen über das glatte, gepunzte Leder der Schatullen. »Du hast deine Sache gut gemacht«, lobte sie ihn. »Ich war nicht sicher, ob du es schaffen würdest.« Sie schluckte, weil sich ein Kloß in ihrer Kehle gebildet hatte. »Ich bin Adeliza sehr dankbar. Es muss schwierig gewesen sein, die Schatullen aus der Schatzkammer zu holen, und es wird Folgen für sie haben …«
»Sie hat dir Briefe geschickt«, sagte
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