Die Hüterin der Quelle
alle vernommen und peinlich befragt waren. Und wenn schon – wie kein anderer fühlte er sich dazu berufen, die Schlechtigkeit und Verderbtheit aus den Herzen der Menschen zu reißen und sie durch die reine, keusche Liebe zur Gottesmutter zu ersetzen. Auch die Kirchweih stand für ihn ausschließlich unter diesem Zeichen.
Mochte sich Fuchs von Dornheim auf dem Domberg an die vorgeschriebenen Rituale klammern und mit großem Prunk durch seine Fürstenpforte Einzug halten, mochten die ängstlichen Pfarrer von St. Stephan, St. Jakob, St. Gangolf und all den anderen Kirchen ihre immer gleichen Lieder des Jahreskreises anstimmen lassen – er tat an diesem besonderen Tag, was er für richtig hielt.
Natürlich war das Gotteshaus geweiht, bereits seit Jahrhunderten, aber angesichts der schwierigen aktuellen Lage konnte es nicht schaden, das Thema Kirchweih wörtlich zu nehmen. Friedrich Förner schien nicht allein mit dieser Ansicht. Unzählige Menschen hatten sich eingestellt zu der öffentlich bekannt gemachten Konsekration, die heute bevorstand.
Als er in das mit Blumen festlich geschmückte Kirchenschiff einzog, besprengte er den Raum mit Weihwasser, während die Ministranten ausgiebig die Räucherfässer schwangen, silberne Kostbarkeiten, die ein kleines Vermögen gekostet hatten. Zielstrebig wandte er sich schließlich zum Marienaltar, wo er seine Knie vor der Statue der Mutter Gottes beugte. Viele zutiefst bewegte Gläubige taten es ihm nach, bevor sie sich in die Bänke begaben.
Er ließ sich ungewöhnlich viel Zeit mit allem, vollzog die anschließende Messfeier so ruhig, dass manche schon an eine Wandlung glaubten. Erst als er wieder auf der Kanzel stand und das Kirchenvolk zu seinen Füßen erwartungsvoll zu ihm aufsah, kamen wie gewohnt die Worte des Hasses aus seinem Mund.
»Vielleicht glaubt ihr noch immer, ihr könntet euch schützen vor der Teufelsbrut. Indem ihr den Kopf senkt, die Augen verschließt und nicht sehen wollt, was ihr eigentlich sehen müsst – ich aber sage euch, ihr täuscht euch! Jeder, der versäumt, eine Hexe anzuzeigen, macht sich selber zu ihrem Komplizen. Seine Schuld ist keinen Deut geringer als die ihre.«
Seine donnernde Stimme erfüllte den Raum.
»Wer seine Pflicht versäumt, das Übel an das Licht des Tages zu zerren, der wird in der Finsternis verderben! Jeder, der das tut, hat das ewige Leben verwirkt für alle Zeiten.«
Er schwieg, schwer atmend. Es strengte ihn an, seelisch und körperlich, aber er war zu jedem Opfer bereit, um seinen heiligen Krieg voranzutreiben. Unter ihm war es längst unruhig geworden. Er konnte sie förmlich denken sehen , er spürte, wie die Angst in ihren Körpern waberte. Besonders auf den Frauenbänken gab es reichlich Bewegung.
Wer konnte schon sagen, ob sich nicht die eine oder andere Verderbte heimlich eingeschlichen hatte, in der Hoffnung, durch sichtbar frommes Tun die Verfolgung von sich abzuwenden? Ja, sie waren überall, und an manchen Tagen hätte er sie am liebsten alle zusammen ins Feuer geschickt, damit die Welt endlich von ihnen befreit war.
Förner wollte, dass es weiter in ihnen gärte, bis der bittere Sud der Wahrheit eines Tages überlief. Bis sie ihm erbarmungslos die lieferten, die schon lange den Tod verdient hatten – all die Frauen. Und natürlich auch einige Männer.
Dazu brauchte er die kleine Lerche. Um die letzten Dämme einzureißen.
Toni stand neben der Orgel, die ein bleicher junger Dekan wacker, aber uninspiriert malträtierte, doch das spielte heute keine Rolle. Wichtiger war die Reinheit der jungen Stimme, das Versprechen, das in ihr schwang, die Klarheit, die jedes Herz erreichte, selbst das verstockteste.
Förner hob die Hand, erteilte das Zeichen zum Einsatz.
»Alle Tage, Seele sage, Lob der Mutter unseres Herrn …«
Niemals hatte Toni schöner gesungen, heller, inniger. Die Akustik von St. Martin verstärkte den Eindruck, ließ seine Töne engelsgleich wirken. Jeder im Kirchenschiff war von einer Mutter geboren worden; die meisten weiblichen Gläubigen waren selber Mütter. Damit hatte er sie alle. Friedrich Förner sah die Tränen in ihren Augen, und grimmige Zuversicht erfüllte seine Seele.
Bratwurstduft lag in der Luft, es roch nach Bier, Fett und Schweiß. Zwischen den Holzbuden drängten sich die Menschen, und drüben, vor dem großen Kirchweihbaum, den die jungen Burschen schon gestern aufgestellt und die ganze Nacht über bewacht hatten, war das Gewusel besonders dicht.
Man
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