Die Hüterin der Quelle
die Sakristei. In dem kleinen Raum war es eng und muffig, und wenn die Sonne so warm schien wie heute, kam es ihm noch unerträglicher vor. Er ekelte sich vor dem säuerlichen Geruch, der von Förner ausging, obwohl er sonst nicht gerade empfindlich war, was Gestank betraf.
Doch sich der Aufforderung des schwarzen Predigers zu widersetzen erschien ihm unklug. Denn noch immer hatte er nicht genau herausbekommen, wie Förner zum Teufel stand, und solange ihm das nicht gelungen war, würde er tun, was jener von ihm verlangte.
»Du hast wunderschön gesungen, Anton.« Der Weihbischof bemühte sich, aus den schweren Messgewändern zu kommen, die sich verheddert zu haben schienen. Immer fahriger zupfte er am Stoff, bis er schließlich einen halben Spitzensaum in der Hand hielt.
Toni senkte bescheiden den Kopf. Er hoffte schon lange auf ein ordentliches Silberstück, das er zu Kuni und den anderen tragen konnte, damit sie endlich aufhörten, ihn mit seinem lästigen Kirchendienst zu hänseln, der doch nichts einbrachte. Aber bislang war es bei der Hoffnung geblieben.
»Diese Hitze – entsetzlich!« Förners Gesicht hatte einen ungesunden Rotton angenommen. Seine Hand fuhr zum Hals, er sah zu Toni, zögerte. Dann aber schien er sich anders zu besinnen. Mit einem Ruck riss er sich den steifen Kragen ab. »So ist es viel besser!«
Er griff nach dem Wasserglas.
»Und weil deine Stimme so außergewöhnlich ist, habe ich auch Außergewöhnliches mit dir vor. Es ist nicht mehr lange bis Allerheiligen, ein Höhepunkt im Jahr für jene Unholde, die die Leichen aus den Gräbern reißen, um sich auf schändliche Weise an ihnen zu vergehen. Du musst wissen, in der Tiefe der Nacht sind die Druten am gefährlichsten. Wir werden zusammen eine Messe feiern, um die Dunkelheit zu vertreiben und die verlorenen Seelen nach Hause zu geleiten. Und während die Hexen sich heimlich zu ihrem schmutzigen Sabbat versammeln, werden wir …«
Seine Stimme wurde immer leiser in Tonis Ohren, bis sie nur noch ein dumpfes Rauschen war. Der Junge starrte auf den mageren Hals des Predigers, und was er da sah, erschreckte ihn zutiefst.
War er doch ein Komplize des Teufels, wie er befürchtet hatte? Aber was war dann mit Lenchen? Die Kleine konnte doch keinesfalls zu den dunklen Mächten gehören! Und was war dann mit Selina, die in der Langen Gasse wohnte?
Wie sollte ein armer Junge wie er sie alle auf einmal im Auge behalten?
Förner redete weiter, irgendwann aber hörte er plötzlich auf. Das Rauschen in Tonis Ohren erstarb. Die Gassengeräusche, die durch das halb angelehnte Fenster drangen, kehrten langsam wieder zurück.
»Hast du mich verstanden?« Förner hatte sich inzwischen die weiße Stola umgelegt, die er nun gegen seine Haut drückte, als verschaffe sie ihm Kühlung.
Toni nickte schnell. Man durfte nicht lügen, unter keinen Umständen, das hatten die Nonnen im Seelhaus ihm eingetrichtert, aber was sollte er sonst tun?
»Gut.« Der schwarze Prediger schien sich zu entspannen. »Dann kann ich also mit dir rechnen …«
Der Satz blieb ihm im Halse stecken.
Denn als Gabriel Hofmeister die Türe öffnete, schoss die kleine Lerche wie ein Blitz an ihm vorbei ins Freie.
Ava war überrascht, als sie Hanna Hümlin an ihrem Stand erblickte.
»Schön, dich zu sehen«, sagte sie leise. »Ich hab unsere Nacht am Feuer nicht vergessen.«
»Deshalb bin ich hier«, antwortete Hanna ebenso gedämpft.
Sie schien kurz zu überlegen, dann ging sie um den Tisch, auf dem die Waren aufgebaut waren, herum nach hinten zu Ava. Jetzt schützten die Körbe mit Geräuchertem sie vor allzu neugierigen Ohren.
»Wir sind anders als die meisten«, sagte sie. »Wir glauben an andere Dinge. Dinge, die manchen Angst machen, obwohl es unnötig ist, denn sie schaden niemandem und nützen allen.« Sie schien unruhiger, als ihr Gesichtsausdruck und der gefasste Ton es vermuten ließen. Ihre rechte Hand spielte mit dem großen, in Silber gefassten Bernsteinherz, das sie um den Hals trug. »Wir müssen uns vorsehen. Es gibt nicht mehr allzu viele von uns.«
»Aber in jener Nacht waren doch …«
»Der Schein trügt. Du kannst Mathis fragen, wenn du willst.« Ihr Blick war warm. »Du hast dir einen wundervollen Gefährten ausgesucht.« Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Immer weniger bekennen sich zu den alten Bräuchen. Sie verweigern der Kornmutter die letzten Ähren auf dem Feld. Kein Schnittertanz mehr, keine geschmückte Garbe zu ihren Ehren. Für
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