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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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uns?«
    Sie musste lächeln, als sie die aufgeregten Stimmen hörte. Sie hatte die Kinder vermisst, trotz ihrer Launen, deren Grund sie ja inzwischen kannte.
    Und plötzlich kam ihr ein Einfall.
    Später am Nachmittag fand das traditionelle Fischerstechen auf der Regnitz statt. Eher unwahrscheinlich, dass Mathis sich ausgerechnet dort zeigte. Aber andererseits war man bei ihm niemals vor Überraschungen sicher. Der unschöne Abgang von neulich lag ihr noch auf der Seele.
    Sie würde die Gelegenheit nicht versäumen, sich nach ihm umzusehen.

    Inzwischen waren Lorenz Eichler die Wege der Kleinen mit dem roten Häubchen vertraut. Und auch die Kinder, mit denen sie sich herumtrieb, kannte er. Das dünne Mädchen mit den Sommersprossen und dem wirren Haar, offensichtlich die Anführerin, den großen Jungen, einen auffallend hübschen Blondschopf, der immer schaute, wo die Kleineren blieben. Toni natürlich, der weiterhin auf den Domstufen sang, während Lenchen das Geld einsammelte, und noch einen jüngeren Buben, dunkel und dünn, der unter dem besonderen Schutz des großen Blonden zu stehen schien.
    Er sah sie betteln, kleine Arbeiten verrichten. Er beobachtete sie beim Stehlen. Er sah sie; sie aber bemerkten ihn nicht, dafür wusste er zu sorgen. Nie hatte Eichler sich besonders hervorgetan. Stets war es ihm gelungen, sich nahezu unsichtbar zu machen, so unauffällig war seine Gestalt, und jetzt konnte er zum ersten Mal im Leben davon profitieren. Er ließ sich Zeit; es herrschte keine Eile. Aber er blieb ihnen auf den Fersen. Die wenigen Schneiderarbeiten, die er zu erledigen hatte, gaben ihm ausreichend Gelegenheit, sich mit dem gewöhnlichen Tagesablauf der Kinder vertraut zu machen.
    Viel schwieriger gestaltete es sich, Lenchen allein zu erwischen, worauf er von Anfang an abgezielt hatte. Denn seit ihrer ersten Begegnung war seine Neugier geweckt. Er wollte mehr wissen, alles wissen. Ein Gedanke begann sich in seinem Kopf zu formen, der mehr und mehr Gestalt annahm.
    Vielleicht würde er sich alles zurückholen können.
    Die Aufträge, die verlorene Reputation. Das Zunftzeichen. Seine Gesundheit. Sogar seine Frau, die ihn verlassen hatte und jetzt bei ihrer alten Base wohnte. Wenn ihm das gelang, hätte er ausgesorgt für alle Zeiten.
    Doch mit bloßem Hoffen und Bangen gab Eichler sich nicht zufrieden, dafür war sein Widersacher zu mächtig und zu einflussreich. Er durfte sich keine Blöße geben, musste seinen Schlag aus sicherer Position führen. Die Kleine war der Schlüssel zu seinem künftigen Glück – sie allein. Er musste sie zu fassen bekommen, das war das Wichtigste. Wenn er energisch genug nachfragte, würde sie sicherlich entscheidende Informationen preisgeben.
    Doch Lenchen zeigte sich niemals ohne einen der anderen; es war, als hätten die Kinder sich heimlich verabredet, die Jüngste stets und überall zu bewachen. Eichler hatte fest auf die Kirchweih gezählt. In dem Menschengewimmel müsste es eine Leichtigkeit sein, mit dem Kind ein paar Worte allein zu wechseln.
    Aber er hatte sich getäuscht.
    Lenchen hielt Tonis Hand umklammert, als sie über den Marktplatz gingen. Und später verschwand sie mit den anderen in der Bude einer Fischhändlerin und kam eine halbe Ewigkeit nicht mehr heraus. Er hörte sie reden, lachen. Einmal jagten sie sich um den Stand, sonst tat sich nichts weiter.
    Er wartete, diesmal ungeduldiger als sonst.
    Als der Duft von gebratenen Würsten so überwältigend wurde, dass seine Magenwände sich schmerzhaft zusammenzogen, brach er sein Vorhaben ab.
    Bislang war er der Kleinen nur heimlich gefolgt. Ab heute würde er zu Lenchens Schatten werden.

    Zwei Boote, die auf dem gegenüberliegenden Ufer warteten. Je zwei Ruderer, die darauf warteten, gegen die Strömung zu lenken, je ein Lanzenkämpfer, der sich auf der kleinen Plattform am Heck postiert hatte.
    »Das sind die Letzten für heute«, sagte ein bärtiger Mann neben Ava. »Und wenn man mich fragt, dann hätt ich den Lumpen erst gar nicht antreten lassen.«
    Sie nickte zerstreut und kniff die Augen zusammen. Die Sonne stand so tief, dass es blendete. Ein kühler Wind hatte sich erhoben. Unwillkürlich zog Ava das Tuch enger über der Brust zusammen.
    »Warum?«, sagte sie.
    »Da fragst du noch? Nach den alten Regeln dürfen nur Mitglieder der Schiffer- und Fischerzunft gegeneinander antreten. So war es von jeher. Aber Mendel musste ja unbedingt eine Ausnahme durchsetzen! Sonst wären wir alle schon längst beim

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