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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Seelenlichtlein in den Fenstern den Büßern im Fegefeuer den Weg nach Hause hätten leuchten müssen. Er duckte sich. Krähengeschrei über ihm, und einmal flog ein schwarzer Vogel so dicht vorbei, dass er den Flügelschlag als kühlen Hauch spürte.
    Er ging den Stephansberg schnell hinauf, aber er rannte nicht, zu schwer baumelte der Beutel von seiner Schulter. Schneiderhatte lange überlegt, was er mitnehmen sollte. Es war nicht so einfach, eine Waffe oder einen Schutz zu finden gegen das Unbenennbare, das sein ganzes Denken und Fühlen mehr und mehr beherrschte. Das Einzige, was ihm schließlich als brauchbar erschien, war sein Werkzeug, und so hatte er es eingepackt und war aufgebrochen.
    Als er oben beim Felsenkeller ankam, sah alles noch genauso aus, wie er es verlassen hatte. Die Türe war fest verschlossen. Die Riegel vorgelegt. Weder Fußspuren noch irgendwelche Anzeichen, dass jemand versucht hätte, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen, waren im spärlichen Licht seines Kienspans zu entdecken. Für einen Augenblick machte sich Erleichterung in ihm breit, da durchzuckte ihn ein jäher Einfall, der alles erneut in Frage stellte. Der alte Eingang – natürlich, warum hatte er nicht schon früher daran gedacht!
    Rasch lief Schneider den Weg hinunter, bis er vor dem früheren Zugang in den Felsenkeller stand. Die Türe war nur angelehnt; keine Spur mehr von der alten Befestigung.
    Todesmutig leuchtete er mit seinem Kienspan ins Dunkel hinunter. Nichts als Stille. Schwärze.
    »Ist da jemand?«, rief er, obwohl er nicht wirklich erwartete, dass die Steinerne Frau oder ihre teuflischen Kumpane ihm darauf eine Antwort geben würden. Aber sie hatten ihre Rechnung ohne Georg Schneider gemacht!
    Er wühlte in dem Beutel, bis er das schwere Eisenschloss mit der geschmiedeten Kette aus dem Besitz seines verstorbenen Vaters ertastete. Stolz und zufrieden hängte er es in die eisernen Besätze der Türe ein und ließ es zuschnappen. Der Schlüssel dazu lag unter seinem Kopfkissen. An den kam niemand heran, der eine unsterbliche Seele hatte.
    Ein Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, als er noch einmal an der Kette rüttelte, nur um festzustellen, wie massiv sie war, wie schwer. Jetzt konnte keiner mehr raus oder rein. Wer immer sich dort drunten im Felsenkeller zu schaffen machte, war ihm in die Falle gegangen.

ACHT
    B eim Hollerbaum verließ Marie Sternen der Mut. Sie war schnell gegangen, mit langen, weit ausholenden Schritten, die ihr die Röcke um die Knöchel schlugen, damit sie es sich im letzten Augenblick nicht doch noch einmal anders überlegte. Den ganzen Weg von der Langen Gasse über die Untere Brücke, vorbei am Kranen, wo die Schiffe anlegten, bis schließlich Häuser und Gärten hinter ihr blieben, hatte sie nicht rechts und nicht links geschaut, und nun starrte sie auf den Fluss. Das bleifarbene, matt glitzernde Band verlor sich im Nebel, der alle Konturen verwischte und der vertrauten Landschaft etwas Unwirkliches verlieh.
    Du musst zu Ava . Wie eine Melodie hatte es in ihr geklungen, ein Refrain, der sich ständig wiederholte, auch als sie seiner längst überdrüssig geworden war. Seit Tagen hatte er sie begleitet, bei allem, was sie gedacht oder zur Hand genommen hatte. Heute aber war er so fordernd geworden, dass sie sich seiner nicht mehr hatte erwehren können.
    Du musst zu Ava . Sie konnte nicht abwarten, bis der gebratene Fasan auf den Tellern dampfte, fühlte sich unfähig, weiterhin eine gelassene Miene aufzusetzen. Gleich nach dem Wachwerden war sie aufgestanden, hatte Gesicht und Hals mit kaltem Wasser benetzt, das Mieder zugeschnürt und sich in das dicke braune Schultertuch gehüllt.
    Jetzt stand sie hier und wusste plötzlich nicht mehr weiter.
    Vor ihr ragten die nackten Zweige des Holunders in den Himmel. Hier, am Fluss, schien der Wind heftiger zu wehen. Als ob er über dem freien Feld Kraft gesammelt hätte, um lauter zu werden, ein scharfes Geflüster, das ungeduldig an den Schindeln rüttelte. Regen begann zu fallen, in hellen, dünnen Schnüren.
    »Du wirst dich erkälten, wenn du noch länger dort draußen herumstehst.« Die Otterfrau, eine ausgefranste Decke um die Schultern, erschien in der halb geöffneten Türe ihres Hauses, zwischen den Beinen ein schmales, bräunliches Pelztier, das sofort nach drinnen verschwand, als Marie sich bewegte. »Du willst zu mir?«
    »Ja, das will ich.«
    »Dann komm herein.«
    Marie wunderte sich, dass die Beine ihr gehorchten, aber den

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