Die Hüterin der Quelle
schob die Schüssel weg. »Und außerdem bin ich schon fett genug.«
Er lachte, griff nach ihrer Hand.
»Ich mag es, wenn ich mich nachts nicht an deinen Rippen stoßen muss«, sagte er. »Unser Junge hat dich erst richtig schön gemacht. Und beim nächsten wirst du noch schöner werden. Lass uns nicht zu lange damit warten, Agnes! Weshalb warten wir eigentlich überhaupt?«
Sie zog ihre Hand zurück, so ungestüm, dass er sie verwundert ansah.
»Was ist?«, sagte er. »Hab ich schon wieder etwas Falsches gesagt?«
»Dein Sohn.« Sie stand schnell auf. »Hörst du nichts? Er brüllt schon wieder.«
Keines der sonst probaten Mittel half, weder der Bierzipfel noch der Mohnsauger. Der Kleine schrie, auch als er in einer frischen Windel steckte, und verweigerte sogar die Ziegenmilch, von der er sonst nicht genug bekommen konnte. Als Agnes ihn über die Schulter legte und im Zimmer auf und ab ging, damit er endlich still wurde, spürte sie durch das Leinen des Steckkissens seine Hitze. Das Fieber schien ihn leichter gemacht zu haben und irgendwie kleiner. Sogar sein Riesenschädel war geschrumpft.
Plötzlich bekam sie Angst.
Was, wenn die Otterfrau von ihrem Plan erfahren hatte und sie nun dafür bestrafte? Agnes konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, was Ava alles über den Kleinen gesagt hatte, aber dass es mehr oder minder verhüllte Drohungen gewesen waren, daran erinnerte sie sich genau.
»Wenn sie dir nur das geringste Leid zufügt, brech ich ihr alle Knochen«, flüsterte sie ihrem Sohn ins Ohr. »Aber das wird gar nicht mehr nötig sein, mein kleiner Harlan, denn bald brennt sie ohnehin. Feuer heilt, so hat der Weihbischof von der Kanzel gepredigt, wirst schon sehen! An dem Tag feiern wir ein großes Freudenfest, nur du und ich, das versprech ich dir.«
Sein Brüllen setzte aus, und Agnes Pacher begann schon, Hoffnung zu schöpfen, da ertönte von anderer Stelle ein markerschütternder Schrei.
Mit dem Kleinen auf dem Arm rannte sie hinaus.
»Was ist los?«, rief sie.
»Da!« Barbel, die Magd, deutete mit ausgestrecktem Finger auf den Boden. »Da. Da!«
Dorle, ihre Älteste, karottenrot, dürr und auch sonst ganz aus der Art geschlagen, hatte blutige Knie und schluchzte heftig vor sich hin, während die kleinere, rundliche Veronika, die stets alles und jedes neugierig untersuchen musste, mit einem erstaunten Gesichtsausdruck unweit von ihr auf dem Boden hockte. Ihre dicken Hände und Ärmchen waren ebenso erdverschmiert wie Kleid und Schürze.
»Da ist etwas vergraben«, sagte sie. »Dorle ist darübergestolpert und hingefallen. Und jetzt heult sie. Sie heult ja immer. Aber ich hab nachgesehen. Schau mal, Mutter!«
Der Rand des Tongefäßes ragte schon halb heraus.
»Ein Drutentopf!« Barbel sagte es als Erste, genauso wie Agnes es gehofft hatte. »Und da – seht ihr nicht, die tote Ratte? Was ist wohl das andere daneben? Ein Krötenschwanz?« Voller Ekel spie sie aus. »Wir sind alle verhext!«
»Müssen wir jetzt sterben, Mutter?« Dorles blassgrüne Augen hatten jede Farbe verloren.
Eisige Ruhe erfüllte Agnes. Jetzt kam es darauf an. Auf jedes Wort. Jede Geste. Sie reichte den Kleinen an Barbel weiter, dann packte sie mit der einen Hand Dorle, die sich ganz steif machte, mit der anderen zerrte sie Veronika vom Topf weg.
»Fasst nichts an«, sagte sie. »Schaut nicht einmal hin. Ins Haus. Alle beide. Sofort.«
Die Kinder gehorchten ohne Widerrede, bleich und ängstlich.
Agnes bückte sich. Ihr Herz schlug so laut, dass sie fürchtete, es könne jeden Augenblick aus der plötzlich viel zu engen Brust springen.
»Aber du wirst ihn doch nicht etwa anfassen?«, rief die Magd entsetzt und presste den Kleinen an sich. »Du könntest auf der Stelle tot umfallen!«
Beherzt griff Agnes zu.
»Was soll der Aufstand?«, hörte sie Harlan hinter sich poltern. »Muss denn unbedingt schon am frühen Morgen die ganze Gass vor meinem Haus zusammenlaufen?«
Mit einem triumphierenden Ausdruck fuhr sie zu ihm herum.
»Ein Drutentopf!«
»Drutentopf?«, wiederholte er begriffsstutzig. »Wieso Drutentopf? Ich verstehe nicht. Was hat das zu bedeuten?«
»Schadenszauber. Hexenwerk. Teufelsfluch! Etwas, das uns krank machen soll. Den Kleinen hat es schon erwischt. Aber damit ist jetzt Schluss! Ich weiß nämlich, wem wir das zu verdanken haben. Und ich weiß auch, wie wir uns dagegen wehren können. Verlass dich auf mich, Harlan: Der Spuk ist bald vorbei!«
Sie brauchte einen Wacholderschnaps,
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