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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Kopf trug sie sehr aufrecht. Ava hantierte am Herd, als sie zögernd die Stube betrat. Ein Geruch stieg ihr in die Nase, der sie an früher erinnerte.
    »Baldrian«, sagte sie. »Meine Mutter hat das Kraut vom Apotheker bekommen, als sie schon sehr krank war.«
    »Dazu muss man nicht erst krank werden.« Ava hatte zwei Becher mit der dampfenden Flüssigkeit gefüllt. »Besonders nach schlaflosen, sorgenvollen Nächten gibt es nichts Besseres. Setz dich und trink!«
    Der Tee war heiß und bitter. Unwillkürlich verzog Marie das Gesicht.
    »Also?«, sagte Ava und nahm den Stuhl gegenüber. »Weshalb bist du hier?«
    »Das weißt du nicht?«
    »Würd ich dich dann fragen?«
    Sie wollte das Spiel also weiterspielen.
    Marie war überrascht, aber einverstanden. Sie selber war keine Anfängerin darin, das würde Ava schnell bemerken. Allerdings war sie leicht irritiert, dass die Otterfrau weitaus schöner war als in ihrer Erinnerung, und jünger, die Haut glatt und leicht oliv, mit einer Spur Rot auf den hohen Wangenknochen, die Haare braun wie die Felder des Herbstes. Vom Körper konnte sie nicht allzu viel erkennen, dazu war das Kleid zu grob und zu weit, aber die Schultern waren ausgeprägt und die Brüste alles andere als klein. Obwohl sie ihr gegenübersaß, vermochte Marie den Ausdruck der Augen nicht zu deuten. Dunkel und weit auseinander liegend unter kräftigen Brauen, wirkten sie ruhig und geheimnisvoll zugleich. Etwas Strenges ging von ihnen aus, eine innere Sammlung, die beinahe einschüchternd wirkte.
    »Es geht um meinen Mann«, sagte Marie schließlich und kämpfte gegen ein sich plötzlich breit machendes Unterlegenheitsgefühl. »Ich denke, eine andere hat ihm den Kopf verdreht.«
    »Ihr seid schon lange verheiratet?« Ava blies konzentriert in ihren Becher.
    »Im siebten Jahr«, sagte Marie. »Aber manchmal kommt es mir vor, als habe Veit erst gestern um mich gefreit.«
    Keine Reaktion, als sein Name fiel.
    »Kinder?«, fragte Ava stattdessen.
    Avas Hände lagen plötzlich auf ihrem Bauch, das fiel Marie auf, ineinander verschränkt, als wollten sie etwas schützen. Wieso ausgerechnet diese Frage? Marie war fest entschlossen, bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn es nicht leicht war. Ein Stück entfernt, auf einer Truhe, sah sie einen Korb mit Eiern stehen, und wieder kam ihr das Bild in den Sinn, das sie so lange getröstet hatte: ihr Zuhause als feste, intakte Eischale.
    »Keine gemeinsamen. Er hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe. Und eine halbwüchsige Tochter.«
    »Seit wann geht das schon so?«
    »Lange. Viel zu lange.« Marie spürte eine feuchte Berührung an ihrer Wade. Der Otter war aus seiner Ecke gekrochen, beschnüffelte sie, neugierig wie ein Welpe. Das war gar kein Ungeheuer, dachte sie, wie die Leute behaupteten, sondern ein freundliches, erstaunlich zahmes Wildtier. »Kann man ihn streicheln?«, fragte sie. »Oder beißt er?«
    »Manchmal mag Reka es, manchmal nicht.«
    »Reka?«
    »Das bedeutet Fluss. In meiner Sprache.« Die Andeutung eines Lächelns, zum ersten Mal, seit sie hier war.
    »Du kommst von weit her?«, sagte Marie. »Aus dem Osten, bist über den Gläsernen Steg nach Bamberg gekommen? Das sagen jedenfalls die Leute.«
    Ein Schulterzucken.
    »Jetzt bin ich hier. Und das schon eine ganze Weile.«
    Marie ließ die Hand wieder sinken. Zu ihrer eigenen Überraschung war die Otterfrau ihr nicht zuwider. Sie fand sie sogar anziehend, auf eine fremde, verwirrende Weise, aber dieses Gefühl machte sie noch befangener, als sie es ohnehin schon war.
    »Die Leute sagen auch, du verstündest dich auf solche Dinge.«
    »Welche Dinge?«
    »Ich liebe ihn. Vom ersten Moment an. Veit gehört zu mir. Und zu sonst niemandem. Wenn du mir …«
    »Ich bin nicht besonders geschickt in Liebeshändeln, falls du das meinst.« Avas Hände hatten den Bauch verlassen und fuhren nun unruhig auf dem Tisch umher, obwohl das Holz sauber geschrubbt und nicht ein Krümel zu sehen war. Es waren kräftige Finger mit kurzen Nägeln, die die harte Arbeit am Wasser und im Räucherofen verrieten. »Außerdem bist du nicht die Erste, die mich danach fragt. Es war schon einmal eine hier, wegen deinem Veit.«
    Marie spürte, wie eine plötzliche Kälte auf sie herabsank, obwohl im Ofen ein Feuer prasselte. Log die Otterfrau? Sagte sie das bloß, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Es hätte sie nicht gewundert, wenn mit einem Mal die Eier dort hinten aus dem Korb gerollt und zerbrochen wären,

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