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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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tatsächlich Magdalena genannt!
    Den Namen der großen Sünderin hatte sie ihrem Kind gegeben. Nicht einmal davor war Gundel Gruber, seine einstige Magd, zurückgeschreckt. Friedrich Förner dachte an den schmierigen Fetzen, der nun schon so lange in einem seiner Gebetbücher versteckt lag. Ein Unbekannter hatte ihn eines Tages an der Pforte abgegeben und war, ohne auf Antwort zu warten, wieder verschwunden.
    Geld hatte sie gewollt, noch mehr Geld, natürlich, was sonst?
    Der Beutel, den er ihr beim Abschied in die Hand gedrückt hatte, um endlich seine Ruhe vor ihr zu haben, schien ihr nicht lange gereicht zu haben. Später hatte sie sich sogar als Badereiberin verdungen, war endgültig zur Dirne herabgesunken. Irgendwann hatte er von ihrem Tod erfahren, doch Erleichterung wollte sich selbst da nicht einstellen. Es war lange her, aber in seinem Gedächtnis war alles so tief eingegraben, als sei es erst gestern gewesen.
    Wie hatte er sich nur dieser Gefahr aussetzen können?
    Sobald er zu Hause war, musste er dieses unsägliche Gekritzel für immer verschwinden lassen!
    Die Kleine lag da, mit offenen Augen. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, um ihr die Lider zu schließen, wie er es unzählige Male zuvor bei anderen Verstorbenen getan hatte, aber es gelang ihm nicht. Auch nicht, als er den Druck verstärkte. Lenchen sah ihn an, nach wie vor.
    Mit Augen, so dunkel wie die seinen.
    Ihre Haut hatte sich kalt angefühlt, beinahe wächsern, aber das war es nicht, was ihn bis ins Mark getroffen hatte. Sie war Gundels Abziehbild, ihrer Mutter so erschreckend ähnlich, dass ihm schwindelte: der längliche Schädel, die helle Haut, das falbe Haar, der große, rote Mund. Mit diesen roten Lippen hatte Gundel ihn damals betört, mit diesen weißen Zähnen, die ihn an Perlen erinnert hatten, mit dem Veilchenduft, den sie seiner toten Schwester Barbara gestohlen hatte.
    Lange Zeit war es ihm gelungen, sich ihrer erfolgreich zu erwehren. Er hatte gebetet und gefastet, kaum noch seine Räume verlassen. Wenn er es doch einmal getan hatte, dann war sie da gewesen, im Haus: singend, lächelnd, mit ihrem großen, roten Mund. Ihn einmal nur zu berühren, einmal zu küssen  – bis in die Träume hatte ihn dieses Verlangen verfolgt.
    Gundel schien nicht einmal erstaunt, als er sie eines Tages in der Küche, vor den dampfenden Töpfen, gepackt und einfach an die Wand gedrängt hatte. Barbaras Veilchenduft und eine Weichheit, mit der er niemals gerechnet hätte. Wie sie ihm plötzlich die Arme um den Hals gelegt hatte. Wie leicht es gewesen war, sie hochzuheben. Ihre Beine um seine Hüften, ihr warmer Hügel an seinem Bauch. Ab da verschwamm seine Erinnerung. Es gab nur noch das Rauschen des Blutes in seinen Ohren, das Drängen des Fleisches zwischen seinen Beinen. Und die Scham, als er sich besudelt wieder aus ihr zurückzog.
    Sie hatte den Kopf danach hoch getragen wie eine Königin, wohl schon damals wissend, dass ihre teuflische Saat aufgegangen war und es bei diesem einen Mal nicht bleiben würde.
    Gundel sollte Recht behalten. Sein Fleisch war schwach gewesen. Sie zu riechen genügte, um ihn wieder schwach werden zu lassen. Er war noch öfter zu ihr gekommen, vier- oder fünfmal, wider seinen Willen, wie unter Zwang, getrieben von einer Begierde, die er verachtete, der er aber dennoch erlag. Auch hier versagte sein Gedächtnis glücklicherweise bei den Einzelheiten, nur an die anschließende Erniedrigung, an die erinnerte er sich sehr genau. Den Abscheu. Die Pein.
    Zum Schluss, als er sie aus dem Haus gewiesen hatte, gerade noch rechtzeitig, bevor man ihr die Schande ansehen konnte, musste sie sich heimlich seines Rosenkranzes bemächtigt haben, seiner wundervollen Korallenperlen.
    Jetzt lagen sie um den Hals dieses Mädchens, aber was hatte sie ihnen angetan! Die Perlen schmutzig und verschmiert, das kostbare Kruzifix zerbrochen, allein schon das ein untrüglicher Beweis, dass teuflische Mächte im Spiel waren.
    Förners Finger zitterten. Dem toten Kind die blutroten Perlen abzunehmen war unmöglich: Dazu war es jetzt zu spät. Alle hatten sie gesehen. Mit Lenchen würden sie ins Feuer wandern, das war ihm klar, denn vor ihm lag ein Drutenbalg, das wusste er, auch wenn sein Blut in ihm geflossen war.
    Er musste sie noch einmal berühren, trotz allem.
    Seine Hand streckte sich dem Mal entgegen, exakt an derselben Stelle wie an seinem eigenen Hals. Es war kleiner und eine Spur heller, doch die Form war gleich.
    Teufelshörner.

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