Die Hüterin der Quelle
werden ließ, und darauf gezählt, dass es mit dem Älterwerden nachlassen würde – die Begierde schwächer, die Leidenschaften gedämpfter. Auch Francesca hatte fest darauf gebaut, das wusste er, ohne jemals mit ihr darüber geredet zu haben. Jetzt war Francesca seit Jahren tot, in seinem Körper wütete die Gicht – und Besserung war noch längst nicht in Sicht.
Am schlimmsten waren die Hände. Sogar der Bader hatte heute bei ihrem Anblick ein sorgenvolles Gesicht aufgesetzt und ihn danach derart grob zur Ader gelassen, dass ihm noch immer schwindelte, wenn er nur daran dachte.
»Du ruinierst dich, Sternen«, hatte Stoiber gesagt. Sogar das Blut schien zäher aus ihm zu fließen als früher. »Immer von allem zu viel. Wohin soll das noch führen?«
Was wusste er? Was hatte er erfahren? Oder machte er nur wie üblich ein paar Andeutungen aufs Geratewohl? Veit beäugte ihn misstrauisch. Doch dem verdrießlichen mageren Gesicht, das sich über ihn beugte, war nichts darüber zu entnehmen.
»Das hält auch so ein Mordskerl wie du auf Dauer nicht aus. Und behaupte später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!« Ein überraschender Hieb in den Magen, eher drohend als freundschaftlich. »Wann kommst du endlich zur Besinnung, Alter? Aber was auch geschieht, du weißt hoffentlich, wo du immer einen Freund findest.«
Wer dich als Freund hat, braucht keine Feinde, schoss Veit durch den Kopf. Ach, er war es leid, sich weiter mit tausenderlei schwarzen Gedanken im Bett herumzuwälzen!
Er schlüpfte in seine Hosen, griff nach einer Kerze und ging nach unten. Schon auf der Treppe hörte er wieder das Geräusch von vorhin, und jetzt wusste er plötzlich, was es war. Es kam aus der Werkstatt, mitten in der Nacht!
Veit stieß die Türe auf und blieb wie erstarrt auf der Schwelle stehen.
Simon stand vor der Werkbank. Durch ein Loch in der Mitte war eine große Holzfigur eingespannt, die er beidhändig mit Beitel und Eisen bearbeitete. Dutzende von Kerzen brannten; es war fast taghell im Raum und so warm, dass Simon mit nacktem Oberkörper nicht fror. Schweißtropfen glitzerten auf seinen Schultern, ließen die Muskulatur plastisch hervortreten.
»Was zur Hölle tust du da?«, fauchte Veit.
Simon fuhr zu ihm herum, den Beitel noch erhoben. An seiner linken Hand schimmerte der silberne Ring, den er seit neuestem trug.
»Musst du mich so erschrecken?«, sagte er.
»Wieso schläfst du nicht?«
»Du schläfst doch auch nicht.«
Veit war näher gekommen. Es war eine Josefsfigur, die sein Sohn aus einem abgelagerten Lindenstück herausmodelliert hatte, aber kein müder, gebeugter Manteljosef, sondern ein stattlicher Mann mit breitem Kreuz. Alles erschien ihm neu und aufregend daran, die rauen, fast zornigen Schnitte, die so viel Lebendigkeit und Bewegung ergaben, ebenso wie der Gesichtsausdruck, der Gelassenheit, aber auch Wehmut verriet.
»Was für eine ungewöhnliche Figur!« Die staunende Bewunderung in seinen Worten war nicht zu überhören.
»Dieser Josef weiß, dass er Maria niemals besitzen wird.« Schwer atmend stand Simon neben ihm, so nah, dass er seinen frischen Schweiß riechen konnte. »Sie wird stets die Mutter des Herrn sein und niemals ganz seine Frau werden. Er hat diese Last angenommen, denn er liebt Maria, auch wenn ihm noch unklar ist, wie er diese Gewissheit ein Leben lang ertragen soll.«
Veit nickte, er konnte nicht anders.
Am liebsten hätte er geweint. Was er sah, machte ihm die Kehle eng, nicht nur die Kraft und die schlichte Schönheit dieser Skulptur, sondern vor allem die Tatsache, dass sein Sohn ihm nichts davon verraten hatte. Er verstand nicht, wie dieser Junge dachte, auf welchen Bahnen er sich bewegte, hatte es noch niemals verstanden, das begriff er in diesem Augenblick.
»Aber unsere Krippe …« Er verstummte. »Du wirst deine Kraft noch brauchen, Simon. Bis Weihnachten muss die Krippe fertig sein.«
»Kraft hab ich mehr als genug. Meine Tage gehören unserer Krippe, so lange, bis der Auftrag abgeschlossen ist. Die Nächte aber sind meine Sache.« Simon griff nach seinem Hemd, zog es an. Dann begann er die Kerzen auszublasen, eine nach der anderen.
»Ich nehme an, es gibt noch mehr davon«, sagte Veit, den Blick auf den halbfertigen Josef gerichtet, als nur noch eine Flamme brannte. »Josef ist nicht der Einzige.«
»Ja. Vielleicht zeig ich sie dir sogar eines Tages. Ich musste sie machen, Vater. Ich habe keine andere Wahl. Ohne sie könnte ich das Leben hier nicht mehr
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