Die Hüterin der Quelle
großer Schwung vom Fasser zurückgekommen, stand nun mit bemalten Gesichtern, Händen und Füßen in der Werkstatt. Sie steckten bereits in den Kleidern, die Marie und die Göhlerin seit Wochen fieberhaft genäht hatten. Doch rechte Freude wollte bei ihrem Anblick nicht in ihm aufkommen. Es war, als hätte die Farbe ihren Charakter verändert. Nicht einmal Simons einstmals so prächtig gelungene Könige waren davon ausgenommen. Fremd fand er sie jetzt, leblos, ohne Ausstrahlung, und als sein Sohn sich nach einem kurzen Blick kommentarlos abgewandt hatte, spürte Veit, wie die nackte Angst in ihm aufstieg.
Was, wenn der Fürstbischof ihr Werk nicht abnahm? Drohte ihnen dann zum Verlust des Honorars noch die soziale Ächtung? Was würde ein derartiger Rückschlag für Selinas Schicksal bedeuten?
Daran mochte er kaum denken und musste es doch unentwegt. Er hatte aufgegeben, seine Tochter zum Reden bringen zu wollen; sogar Simon schien inzwischen an Selinas hartnäckigem Widerstand zu verzweifeln.
Eine kleine Hoffnung gab es noch. Offenbar war einer unter den Hexenkommissaren, der eine Spur von Verständnis aufzubringen schien: jener Adam Thies, den Marie schon als Kind gekannt hatte. Veit hatte sie beschworen, zu ihm zu gehen und sich für sein Mädchen einzusetzen.
»Dring nicht weiter in mich!«, hatte sie ihn heute erst kurz abgefertigt, als er erneut darauf zu sprechen gekommen war. Seit Simons Rückkehr war sie in sich gekehrt und verschlossen.
»Willst du damit warten, bis man Selina in die Eiserne Jungfrau gesteckt hat?« Seine eigene Stimme klang fremd in seinen Ohren, hohl und hallend, als käme sie aus weiter Ferne. »Dann allerdings ist es zu spät!« Inzwischen tat ihm seine Heftigkeit Leid, aber eine Entschuldigung hatte er trotzdem nicht zustande gebracht.
»Natürlich nicht.« Marie vermied, ihn anzusehen, wie so oft in letzter Zeit. »Was, wenn ich vielleicht schon bei ihm war? Und mein Vorstoß alles nur noch schlimmer gemacht hat?«
»Weshalb?«, hatte er gefragt. »Welchen Grund sollte es dafür geben?«
»Es gibt so einiges zwischen Männern und Frauen.« Ihr Tonfall ließ ihn aufhorchen. »Das weißt du doch, Veit.«
»Aber dieser Thies ist doch ein Kirchenmann, oder etwa nicht?«
« Ja. Aber das war er nicht immer. Nicht, als wir beide jung waren.« Sie stand leicht abgewandt, die rötlichen Haare zum Kranz geflochten, so dass ihr schlanker Nacken freilag. Wie gern hätte er sie dort geküsst! Doch wie die Dinge im Augenblick lagen, blieb ihm nichts anderes, als auf die zarte Vertiefung zwischen den Sehnen zu starren und sich in Erinnerung zu rufen, wie weich ihre Haut war.
»Was soll das heißen, Marie? Was ist zwischen dir und diesem Mann?«
Sie hatte ihm keine Antwort gegeben. Stattdessen breitete sich wieder Schweigen zwischen ihnen aus, jenes fürchterliche Schweigen, das sich wie ein Spinnennetz über das ganze Haus gelegt hatte und jeden von ihnen zu ersticken drohte. Mehr und mehr hatte er das Gefühl, abzurutschen, jeden Halt zu verlieren. Denn genau betrachtet waren es nicht nur Selina und die Angst um die Krippe, die ihm zusetzten.
Marie behandelte ihn wie einen Fremden, zog sich zurück, sobald er versuchte, sich ihr zu nähern, und schien so abwesend, dass er sich geradezu überflüssig vorkam. War es das, was ihn plötzlich wieder so brennen ließ? Ihre Unbestimmtheit, jenes schwer fassliche Verhalten, das ihm das Gefühl gab, seine Frau sei in Gedanken anderswo, an einem Ort, zu dem niemand außer ihr Zutritt hatte?
Veit Sternen hatte kaum Gelegenheit, sich diesem neu erwachenden Begehren zu überlassen. Denn da gab es auch noch Ava, die vielleicht sein Kind trug. Er wusste nicht, ob er es als Pech oder Glück betrachten sollte, dass Ava ihm nicht sagen konnte oder wollte, wer der Vater war. Und nicht zu vergessen: Agnes Pacher, die bereits im Loch saß und damit das Schicksal erlitt, das Selina drohend bevorstand.
Frauen – immer und überall nur Frauen!
Wieso nur musste er sich stets und überall von ihnen verlocken lassen? Weshalb unbedingt ergründen, wie ihre Haut duftete und welche Geheimnisse sie unter ihren Röcken verbargen? Warum träumte er davon, sie anzufassen, brannte vor Verlangen danach, ihre Haare zu lösen und über ihre Haut zu streichen?
Es hatte begonnen, kaum, dass er ein Jüngling war, und war ständig gewachsen, manchmal bis fast ins Unerträgliche. Veit hatte es als besondere Gabe genossen, als günstige Laune, die das Leben ihm zuteil
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