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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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mehr als einer Woche tut er nichts anderes. Und manchmal weint er. Oder schreit. Wie heißt du denn? Ich bin die Vroni.«
    »Ava.« Sie drehte sich zu dem anderen Kind. »Und wer bist du?«
    »Dorle. Das ist nur wegen unserer Mama.« Die Größere hatte einen roten Schopf und sah selber aus, als ob sie gerade geheult hätte. »Sie ist nämlich eingesperrt. Aber sie soll ganz schnell wieder nach Hause kommen!«
    »Das will ich doch auch«, sagte Vroni. »Doch vom Weinen wird es auch nicht besser. Wir müssen tapfer sein und uns um Harlan kümmern.«
    »Ist das euer Bruder?«, sagte Ava.
    »Er hat erst zwei Zähne. Und immer wenn er wach wird, schreit er.«
    »Kann ich ihn mir mal ansehen?«, sagte Ava.
    Jetzt ließ die Magd sie eintreten und führte sie in eine dunkle Kammer, wo ein kräftiger Säugling nach Leibeskräften brüllte. Die Mädchen folgten ihr. Ava nahm ihn hoch.
    Er war viel zu fest in steifes Leinenzeug gewickelt, das sie trotz der missbilligenden Blicke der Magd Schicht für Schicht von seinem Körper löste. Als er nackt war, entdeckte sie überall rote Pusteln, manche verschorft, andere ganz frisch, andere blutig aufgekratzt.
    »Ihr müsst ihm die Nägel schneiden«, sagte sie nach eingehender Inspektion. »Das ist das Wichtigste. Sonst kratzt er sich ständig auf. Dann reibt ihr seine Haut mit warmem Wasser vorsichtig ab, mindestens fünf Tage hintereinander, und trocknet ihn gründlich ab.«
    Der Kleine sabberte, strampelte mit seinen dicken Beinchen. Ava wickelte ihn, ließ sich ein Wolltuch geben, hüllte ihn leicht damit ein.
    »Er muss sich mehr bewegen können. Seht ihr, wie gut ihm das tut?« Auf ihrem Arm wurde er ruhiger. »Und wo finde ich jetzt euren Vater?«
    Die Stube, in die Dorle sie führte, roch nach Kummer und Schnaps. Am Tisch hockte die massige, in sich gesunkene Gestalt des Holzhändlers, der sich an einen Krug klammerte. Der Anblick war so jämmerlich, dass Ava die Mädchen schnell wieder hinausschob.
    Jetzt war sie mit Pacher allein.
    »Was willst du?«, sagte er, als er sie erkannte. »Was hat mein Sohn auf deinem Arm verloren?«
    »Günstiges Erlenholz zum Forellenräuchern«, sagte sie. »Ich ersticke fast in Ware, so viel haben die Fischer bei mir abgeliefert. Aber dein Lager war zu. Deshalb bin ich hier. Der Kleine hat geweint, und ich wusste, wie er zu beruhigen war.«
    »Mein Lager bleibt auch zu. So lange, bis sie wieder zu Hause ist. Dann wird auch der Kleine nicht länger greinen.« Seine Augen waren müde und blutunterlaufen. Als ihr Umschlagtuch bei einer Bewegung verrutschte und den Bauch freigab, über dem das Kleid schon spannte, musterte er Ava mit neu erwachtem Interesse.
    »Du bist schwanger?«
    Sie nickte.
    »Dann hast du mehr Glück gehabt als mein armes Weib. Ein neues Kind hätte ihr Leben gerettet. Aber Gott hat es nicht gewollt. Warum tut er uns das an?«
    Der Kleine rülpste. Seine wasserblauen Augen waren neugierig und wach.
    »Das musst du dir selber beantworten«, sagte Ava. »Wo steckt eigentlich dein Gehilfe? Vielleicht kann er mir ja das Holz verkaufen, das ich brauche.«
    Er schien sie gar nicht zu hören.
    »Sie ist leichtsinnig«, fuhr Harlan Pacher fort. »Und sie hat ein loses Mundwerk. Oftmals redet sie, bevor sie denkt. Aber sie hat mir drei gesunde Kinder geboren, und ich liebe sie. Meiner Agnes darf nichts zustoßen! Was kann ich nur tun, um ihr zu helfen?«
    »Wenn stimmt, was man hört«, sagte Ava vorsichtig, »dann ist sie nicht unschuldig an ihrer misslichen Lage. Andere zu beschuldigen kann sehr schnell auf einen selbst zurückfallen.«
    »Ich weiß«, jammerte Harlan Pacher, »das achte Gebot! Nicht einmal darum schert sie sich. Ich bin um einiges älter als sie und wohl auch um einiges klüger. Aber jetzt weiß auch ich nicht mehr ein noch aus.« Seine Hände vollführten eine mutlose Geste. »Was soll ich nur tun? Ich war schon überall: beim Weihbischof, im Rat, sogar beim Fürstbischof hab ich um Gnade gebettelt, aber niemand will mir Gehör schenken.«
    Sein Kopf sank auf den Tisch.
    »Mein Leben würde ich geben, um ihres zu retten«, sagte er dumpf. »Und alles, was ich besitze.«
    »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte Ava. »Schon der Kinder wegen nicht. Sieh dir nur mal deinen Kleinen an!« Die Füßchen stießen munter gegen ihren Bauch, und sie hatte das Gefühl, dass das Kind in ihr darauf antwortete. »Deine Frau ist noch nicht tot, Harlan. Solange sie lebt, gibt es auch Hoffnung.«
    Langsam kam sein Kopf

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