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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Würde sie weiter und immer weiter wandern, sie würde irgendwann zur Quelle gelangen, zum Ursprung, inmitten der südlichen Frankenalb.
    Mathis war einmal dort gewesen und hatte ihr davon erzählt. Wenn sie am Fluss war, war sie also auch mit ihm verbunden. Natürlich hielt sie vor allem Ausschau nach Mathis und erst in zweiter Linie nach Reka, dessen anfängliche Zurückhaltung vor dem schnell steigenden Wasser sich inzwischen offenbar in Neugierde verwandelt hatte. Zwei ganze Tage und Nächte war er ausgeblieben und erst zurückgekehrt, als sie sich schon Sorgen gemacht hatte. Aber der Otter war munter gewesen, trotz einer frischen Bisswunde am Ohr, die sie gesäubert und verbunden hatte, und konnte es nach ein paar Stunden Schlaf kaum erwarten, aufs Neue jagen zu gehen.
    Verteidigte er sein Revier? Hatte er eine Gefährtin gefunden? Otter waren beim Balzen nicht auf bestimmte Jahreszeiten angewiesen, das hatte Ava bei ihren Flusserkundungen beobachtet. Aber musste sich Reka ausgerechnet winterliches Hochwasser für seine Brautwerbung aussuchen?
    Auch die Enten schienen das mächtige Strömen zu genießen; sie sah ein paar Teichhühner auffliegen und entdeckte ein Stück entfernt sogar den scheuen Eisvogel, der sich nur selten blicken ließ. Das Gehen tat ihr gut, obwohl sie die Schwere in ihrer Mitte jetzt schon deutlich spüren konnte.
    Sie atmete die frische Winterluft tief ein.
    Das Haus war eng und laut geworden, doch sie wollte die Kinder nicht zum Stillsein zwingen, sondern war erleichtert, dass sie überhaupt wieder damit anfingen, Unsinn zu machen. Viel wichtiger war ihr, sie satt zu bekommen – keine leichte Aufgabe. Sie hatte die Ziegen, die Milch gaben, aber auch gefüttert werden mussten. Avas Rücklagen schmolzen, und würde Bastian Mendel nicht mindestens einmal pro Woche einen Extrakorb Fisch anschleppen, sie müsste anfangen, sich ernsthafte Gedanken über die Zukunft zu machen.
    Der Wind blies immer heftiger. Sie spürte, wie sie langsam ermüdete, und konnte sich doch noch nicht zum Umkehren entscheiden. Zu stark war die Anziehung, die von dem rasch fließenden Gewässer ausging, ein Sog, den sie bis in ihr Innerstes spürte.
    Du bist die Hüterin der Quelle .
    Mathis’ Worte klangen wieder in ihrem Ohr, aber heute stimmten sie Ava nicht froh, sondern ließen sie traurig werden. Du täuschst dich, das bin ich nicht, hätte sie ihm am liebsten entgegengerufen, ebenso wenig, wie ich damals in der Lage war, das Feuer zu hüten.
    Wieder überkamen die Bilder sie ohne Vorwarnung.
    Das Zischen der Flammen, das schnelle Auflodern, als sie die Türe aufgerissen hatte. Ihr Erschrecken, eine senkrechte Feuersäule aufschießen zu sehen, als Luft hereinströmte, und Wenzels verzweifelte Stimme im Hintergrund: »Lauf, Ava, lauf, hinunter zum Fluss …«
    Sie ließ sich auf die Knie sinken, fasste beidhändig in den Schnee und presste ihn auf ihre Wangen. Die Kälte brachte sie wieder zur Besinnung, aber ihr Herz blieb wund und heiß. Avas Finger wühlten tiefer in der Erde, bis sie auf etwas Hartes stießen – Wurzelwerk. Sie grub weiter, froh um die willkommene Ablenkung.
    Der Boden war nur oberflächlich gefroren; es gelang ihr, mit dem kleinen Messer, das sie immer bei sich trug, alles aus der Erde zu lösen. Engelswurz, eine Pflanze, die man auch Angelica nannte und der man nachsagte, sie vermöge heimatlosen Menschen beim Wurzelschlagen zu helfen.
    Sie würden das Haus damit ausräuchern, sie und die Kinder zusammen. Höchste Zeit, dass Kummer und Angst vertrieben wurden und Lachen und Fröhlichkeit wieder Einzug hielten! Beschwingt von dieser Vorstellung, machte sie sich auf den Heimweg.
    Im Haus war es warm; das Holz, das Jackl auf Pachers Geheiß geliefert hatte, war so reichlich ausgefallen, dass sie einiges sogar zum Feuern verwenden konnten; zudem war neues bereits in Aussicht gestellt. Ava streifte das Winterkleid ab, das langsam eng wurde, und begann im Unterkleid alle Vorbereitungen für die Räucherung zu treffen. Sie hatte gerade eine Tonschale mit Sand gefüllt und ein paar Klumpen Fichtenharz hineingelegt, als sie Schritte hinter sich hörte.
    »Was tust du da?« Marie Sternen kam offenbar direkt aus ihrer Kammer, denn sie hielt Veits Wams in der Hand. »Was hast du in meinem Haus zu schaffen?«
    »Mich mit eigenen Augen davon überzeugen, wo mein Mann seine Nächte verbringt.« Sie warf es ihr entgegen. »Und wo er seine Sachen deponiert.«
    Das Wams fiel zu Boden. Ava hatte

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