Die Hüterin der Quelle
gedachte, was sein Weggang aus Bamberg einst beendet hatte? Thies war ein Heißblut. Dieser Ruf eilte ihm voraus, trotz seiner allgemein anerkannten Fähigkeiten. Vielleicht missachtete er nicht nur das Gelübde des Gehorsams, sondern auch das der Keuschheit.
Der Jesuit und die Frau des Krippenschnitzers?
Es erschien Friedrich Förner durchaus denkbar. Eine Fährte jedenfalls, der er nachgehen sollte.
Als er die Treppen wieder heruntergestiegen war und St. Martin verlassen hatte, fühlte er sich ohne die schützende Hülle seines Gotteshauses bei den ersten Schritten wie nackt. Zum Glück begann es zu schneien. Große Flocken fielen vom Himmel, überzogen die Stadt mit weißer Stille. Seine Füße fanden den Weg wie von selbst, über den Markt, die Untere Brücke, bis hinunter in den Sand, wo das Gasthaus zum Blauen Löwen lag, das Adams Vater, Wolfram Thies, betrieb.
Alle Fenster zur Straße hin waren dunkel; für einen Augenblick durchströmte ihn Genugtuung, dass die Gläubigen die Fastengebote der Adventszeit ernst nahmen. Auch dafür hatten seine Drutenpredigten gesorgt. Er wollte schon umdrehen und nach Hause gehen, als ein Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte.
Förner drückte sich enger gegen die Mauer und spähte in den Innenhof. Zwei Gestalten unter einer kleinen Laterne, in der ein Lichtlein flackerte, in einer Umarmung verschmolzen. Ein Liebespaar, dachte er unwillig. Zwei, die aus guten Gründen für ihre Wollust den Schutz der Nacht suchen.
Er hörte sie flüstern und lachen. Dann trat die kleinere Gestalt einen Schritt zurück.
Im Schneetreiben erkannte er den blonden Sohn des Krippenschnitzers.
»So lass ich dich noch nicht nach Hause, Simon«, sagte die größere Gestalt und zog den anderen näher heran.
Die Jungfrau Maria hatte ihm den Weg gezeigt. All seine Gebete waren erhört worden. Kälte strich ihm über den Rücken, Schneeflocken fielen auf seinen Kopf, bedeckten die Soutane. Friedrich Förner merkte von alldem nichts. So gebannt sah er dabei zu, wie Adam Thies und Simon Sternen sich innig küssten.
Die Stadt schlief schon, als Pankraz Haller sein Gasthaus Unter den Störchen absperrte. Die Kälte reizte seine Haut; er stapfte durch den Schnee, bis der Atem vor ihm in hellen Schwaden dampfte, und hatte doch keine Eile heimzukommen. Was erwartete ihn schon? Ein leeres, dunkles Haus und nichts als schwarze Gedanken!
Zu seiner Überraschung saß Hanna Hümlin noch in der Stube, vor heruntergebrannten Kerzen, die ihm zeigten, wie lange sie schon auf ihn wartete. In einer Vase auf der Truhe standen ihre Barbarazweige, die langsam austrieben, und der Gedanke an den Frühling, den sie lange vor der Zeit ankündigten, machte ihm die Seele leichter.
»Sie haben dich heute vernommen«, sagte sie. »Ich dachte mir, du kannst danach vielleicht jemanden zum Reden gebrauchen.«
Pankraz zog den Rock aus und setzte sich zu ihr. Der Kamin war noch immer angenehm warm; es entspannte ihn, seinen steifen Rücken dagegenzulehnen. Im Fenster sah er ihre verschwommenen Spiegelbilder. Draußen fiel der Schnee, in dicken, schweren Flocken.
»Geschwitzt hab ich, schlimmer noch als bei der Ernte im August, so scheußlich bedrängt haben sie mich. Alles wollten sie wissen – über die Schlüssel, über Selina, über die Keller. Und zuletzt sind sie noch auf dich gekommen.«
»Die alte Geschichte?« Sie sah plötzlich müde aus.
»Die alte Geschichte«, bekräftigte Pankraz. »Dein Bein, dein Leumund, deine Mutter – sie haben alles aufgefahren. Aber ich bin ihnen nichts schuldig geblieben. Und zum Schluss ist sogar Förner verstummt, wer weiß schon, weshalb.«
Sie schwieg, senkte den Kopf, und die Locken, die ihr Gesicht umkringelten, schimmerten im Kerzenlicht.
»Glaubst du eigentlich, dass Sterben wehtut?«, sagte sie nach einer Weile.
»Das weiß ich nicht«, sagte Pankraz überrascht.
»Aber wohin geht die Seele? Kannst du mir wenigstens das sagen?«
»Tut mir Leid, Hanna. Da musst du Klügere als mich fragen. Ich weiß nur, was sie von der Kanzel verkünden. Dass wir eines Tages auferstehen werden, sofern wir ein frommes Leben geführt haben. Wissen werden wir es erst, wenn es einmal so weit ist.« Er musterte sie erstaunt. »Wie kommst du jetzt auf solche Gedanken?«
»Weil Förner Blut an den Händen hat«, sagte sie, »und alles, was er berührt, in Tod verwandelt. Er steckt voller Hass, wird nicht aufhören, bis er erreicht hat, was er sich vorgenommen hat. Er will Menschen brennen
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