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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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keinerlei Anstalten gemacht, es zu fangen.
    »Sonst noch etwas?«, sagte sie kühl.
    »Allerdings.«
    Maries wütender Blick flog weiter, über Avas Hals und Brüste, bis zum Bauch. Ava sah, wie die hellen Augen sich voll Schrecken und Erstaunen weiteten.
    »Du bist schwanger?« Maries Stimme zitterte. Alle Gerüchte waren Wahrheit geworden. Schrecklichste, fleischliche Wahrheit.
    »Siehst du das nicht?«
    »Ist es seins?«
    »Es ist meins. Denn es wächst in mir. Das ist das Einzige, was für mich zählt.«
    Ava hatte nicht damit gerechnet, wie schnell die andere reagieren würde, nicht mit Maries kleinen, harten Händen, die wütend auf sie einschlugen, nicht mit der Kraft, die in dieser zarten Person steckte. Bis sie daran dachte, sich zu wehren, hatten sie schon ein paar ordentliche Schläge getroffen. Schließlich aber gelang es ihr, Maries Handgelenke zu packen und festzuhalten.
    »Schämst du dich nicht?«, zischte Marie ihr aufgebracht entgegen.
    »Wieso sollte ich?«
    »Euer erstes Kind lasst ihr im Keller verrecken, und schon wieder habt ihr ein neues gemacht …«
    Ava ließ sie so abrupt los, dass sie einen Schritt zurücktaumelte.
    »Was soll das heißen? Rede!«
    »Du verstehst mich ganz gut. Ich weiß, dass ihr beide schon ein Kind hattet, Veit und du. Lenchen. Und es ist auf erbärmliche Weise gestorben!« Ihre Stimme überschlug sich.
    »Lenchen war nicht unser Kind«, sagte Ava. »Wie kommst du darauf?«
    »Lüg mich nicht an! Selina hat mir alles gesagt.«
    »Wie kann Selina so etwas behaupten?«
    »Weil sie euch mit eigenen Augen gesehen hat!«
    »Sie mag uns gesehen haben, aber ich lüge nicht, wenn ich sage, Lenchen war nicht unser Kind!«
    »Und das soll ich dir glauben? Niemals, hörst du? Niemals!«
    »Dann warte. Ich werd dir etwas zeigen.«
    Ava schlang das Tuch um sich und fühlte sich sofort besser. Sie ging in ihre Kammer und nahm den Brief aus der Schatulle. Sie trug ihn hinüber, wo Marie sich inzwischen an den Tisch gesetzt hatte.
    »Du kannst lesen?«
    »Natürlich!« Marie klang entrüstet.
    »Dann lies!«
    Es verging eine Weile, bis Marie das Blatt wieder sinken ließ.
    »Der Brief ist mit Gundel unterzeichnet«, sagte sie. »Und du heißt nicht Gundel.«
    »Das ist richtig«, sagte Ava. »Außerdem ist der Brief an einen F. gerichtet.«
    Maries Augen flogen wieder über das Blatt.
    »Wenn du uns nicht hilfst, F., müssen wir verrecke n «, las sie laut. »Gib uns Geld … Veits Name beginnt mit einem V – keinem F. Was heißt das schon? Sie könnte sich nur verschrieben haben. Oder derjenige, der diese Zeilen für sie verfasst hat.« »Woher soll ich wissen, dass das keine billige Täuschung ist?«
    »Siehst du die Tränenspuren auf dem Papier?«, sagte Ava. »Die sind ebenso echt wie sein Inhalt. Lenchen hat mir von ihrer Mutter Gundel erzählt. Die Kleine war gern hier, und ich habe sie gern um mich gehabt – aber sie war nicht meine Tochter.«
    Marie schien plötzlich wie abwesend.
    »Warum hast du ihn mir genommen?«, sagte sie. »Veit gehört doch zu mir!«
    »Er ist aus freien Stücken gekommen. Ich wusste, dass er nicht lange bleiben würde. Du kennst ihn doch. Du weißt, wie er ist.«
    »Aus freien Stücken? Du hast ihn gereizt und gelockt! Aber damit ist es jetzt aus. Merk dir das! Aus und vorbei. Veit sitzt im Loch. Sie haben ihn heute abgeführt.« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es immer noch nicht glauben.
    »Was hat er getan?«
    »Woher soll ich das wissen?« Marie zögerte. Aber die Frage ließ ihr keine Ruhe. »Er weiß das von dem Kind?«
    »Ja. Aber ich kann nicht sagen, ob er der Vater ist. Und das hab ich ihm auch gesagt. Was wirst du jetzt tun, Marie? Du kannst ihn dort doch nicht verrecken lassen!«
    »Natürlich nicht.« Sie war aufgesprungen. Röte schoss in ihr Gesicht. »Er ist mein Mann. Ich werde ihn retten.«
    Die beiden Frauen sahen sich an.
    »Es gibt bestimmt einen Weg.« Ava zog das Tuch enger um sich. »Wann immer du Hilfe brauchst …«
    »Du hältst dich da gefälligst raus, verstanden? Das ist das Einzige, was du jetzt noch für Veit tun kannst!«

    Simon hatte sie kaum ausreden lassen, dann war er sofort wieder losgestürzt, und jetzt hielt es Selina auch keinen Moment länger im Haus. Draußen war es bitterkalt, aber sie fror nicht, so schnell lief sie den Domberg hinauf. Sie wollte zu den hellen Kerzen, zu Jesus am großen Altar, dorthin, wo sie vor einiger Zeit vergebens ihre Kummerweiden abgelegt hatte.
    Auf dem Domplatz

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