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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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heißt.«
    »Glasleute?«
    »Ja«, sagte Ava. »Aber das ist lange her.«
    Grußlos ging sie davon. Ihre Beine fühlten sich steif an, und die Schultern drückte eine seltsame Schwere. Sie kam nicht weit, dann musste sie Halt machen.
    Mit den Füßen im Fluss blieb sie still sitzen. Das kühlende Wasser tat gut. Aber es konnte das Feuer nicht löschen, das erneut in ihrer Erinnerung aufgeflackert war.
    Woher wir kommen, ist das, was wir sind .
    Wieder jene Stimme, die sie so oft in ihren Träumen hörte! Ein enger Strick schien plötzlich um ihren Hals geschlungen, der ihr das Atmen erschwerte. Es gab keine Trennung von Vergangenheit und Gegenwart, sosehr sie sich auch bemüht hatte. Die böhmischen Laute hatten die Risse in ihr vertieft.
    Erst recht die Frage nach den Glasleuten.
    Ihr Zuhause war für immer verloren. Nichts davon war ihr geblieben, bis auf ein paar hastig zusammengekaufte Kleider, die sie nun als ihre Vergangenheit ausgab.
    Die Stimme ihrer Mutter wurde irgendwann leiser, ebenso das Zischen des Feuers, das Krachen der einstürzenden Balken. Wie immer, wenn sie sich an früher erinnerte, hatte sie starke körperliche Begleiterscheinungen. Ihre Hände wurden feucht; es fiel ihr plötzlich schwer, scharf zu sehen. Niemand in Bamberg wusste davon. Keinem hatte sie je erlaubt, ihr so nah zu kommen, nicht einmal Mathis.
    Es kostete Ava Kraft, aufzustehen und den Rückweg zu ihrem Haus anzutreten. Wenigstens wusste sie, dass Reka dort wartete.
    Und Lenchen, die kleine Waise, die sie brauchte.

    »… habt ihr keine Augen, um zu sehen, keine Ohren, um zu hören? Spürt ihr sie nicht, jene Ausgeburten der Hölle, die sich unter uns gemischt haben, um uns für alle Ewigkeit zu verderben?«
    Im Langschiff von St. Martin gab es keinen freien Platz mehr. Auf den Bänken duckten sich Männer, Frauen und Kinder unter der schneidenden Stimme des Predigers. Mit beiden Händen umklammerte Friedrich Förner das schmale Geländer der Kanzel, bebend vor Zorn und Erregung. Obwohl es der dritte Sonntag nach Trinitatis war, war die Stola auf seinem Priesterkleid nicht weiß, sondern violett, wie zur Passionszeit.
    »Wer aber sagt, es gäbe keine Druten, keine Hexen und Zauberer, den, meine Brüder und Schwestern in Jesu, den solltet ihr erst recht genau in Augenschein nehmen! Denn wer so zweifelt, ist entweder ein gefährlicher Narr oder, was um vieles schwerer wiegt, selber ein Hexenmann oder ein Hexenweib.«
    Marie, nur mitgekommen, weil Veit sie darum gebeten hatte, fühlte sich immer unbehaglicher. Obwohl sie seine Wärme an ihrem Schenkel spürte, wünschte sie sich plötzlich, nicht ihn, sondern ihren Vater neben sich zu haben. Dann könnte sie das Brummen hören, mit dem der Braumeister solche Sätze zu kommentieren pflegte, und sehen, wie er solche Behauptungen einfach wegwischte.
    Neben Veit und Simon saß Selina, wie immer ganz nah neben dem großen Bruder. Auf der anderen Seite des Kirchenschiffs hatte sie Harlan und Agnes Pacher entdeckt, er in dunklem Tuch, sie in einem Kleid mit breiten Brokatbesätzen. Die Pacherin griff sich immer wieder ans Mieder, als sei sie zu eng geschnürt, und verdrehte die Augen, wenn Förner loswetterte.
    »In summa sollten wir alle wissen, dass, sobald jemand ein Hexenmann oder Hexenweib geworden ist, er gleichzeitig alle anderen vergiften muss. Weil ihnen der Teufel keine Ruhe lässt, können sie gar nichts anders, als Schaden zufügen, sei es nun ihren eigenen Eheleuten, ihren Kindern, Verwandten, Nachbarn – ja nicht einmal vor Tieren machen sie Halt.«
    Unruhe ergriff die Lauschenden. Dabei war es die ganze Zeit mucksmäuschenstill gewesen, abgesehen von dem kleinen Aufruhr, der kurz vor dem Gottesdienst geherrscht hatte, als der Küster ein Rudel Kinder hereingetrieben hatte, die die Kirchgänger vor St. Martin um Almosen angebettelt hatten. Still kauerten sie jetzt auf der letzten Bank, offenbar zu ängstlich, um sich noch zu rühren.
    »Druten verursachen Krankheiten bei Mensch und Vieh«, donnerte Förner von der Kanzel. »Sie buhlen mit dem Teufel. Satan haben sie ihre Seele verschrieben!«
    In der vordersten Bank erhob sich eine ältere Frau, grauhaarig und gedunsen.
    »Meinen guten Jockel haben sie mir vergiftet«, rief sie. »Mit einem riesigen Bienenschwarm, der ihm an den Hals gegangen ist. Jetzt bin ich ganz allein auf dieser Welt.«
    Der Weihbischof schien nicht ungehalten wegen der Unterbrechung, ja, es sah sogar aus, als nicke er ihr ermutigend zu.
    »Sie

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