Die Hüterin der Quelle
um.«
Der Sekretär wandte ihm den Rücken zu, bis Förner seine schwarze Soutane wieder bis zum Hals zugeknöpft hatte.
Dann trat er mit einem verlegenen Lächeln auf ihn zu.
»Ich fürchte, Seine Exzellenz wird sehr ungehalten werden, wenn Ihr nicht tut, was er neulich angeregt hat«, sagte er. »Und ich muss dem Fürstbischof Recht geben. Der Stoff fällt Euch ja buchstäblich vom Leib. Ihr braucht dringend neue Gewänder, Monsignore. Habt Ihr nicht früher bei einem gewissen Lorenz Eichler nähen lassen? Ich habe einige Rechnungen gefunden …«
»Nicht diesen Namen – nie mehr!«
»Gut, wenn nicht er, dann ein anderer, den Ihr zum Maßnehmen kommen lasst.« Gabriel Hofmeister ließ sich seine Überraschung über die heftige Reaktion nicht anmerken. »Jeder Schneider in Bamberg würde sich glücklich schätzen, für Euch zu arbeiten!«
»Kommt nicht in Frage!«, sagte Förner barsch. »Ich kann nun mal nicht ausstehen, dass jemand an mir herumgrapscht.« Er schüttelte sich.
»Ihr haltet es für unwichtig, ich weiß, aber es geht doch auch um das Ansehen Eures hohen Amtes …«
»Weißt du, was mich bewegt, Gabriel?«, unterbrach er ihn. »Ich wünschte, ich könnte meine Predigten nicht nur auf Latein verfassen, sondern sie auch in der Sprache unserer Kirchenväter halten, anstatt mich mit diesem schwerfälligen Deutsch herumzuplagen! Um wie viel schärfer und präziser könnte ich mich dann erst ausdrücken.«
»Nur, dass Euch dann niemand mehr in St. Martin verstehen würde«, sagte Gabriel Hofmeister. »Und mit dem, was Ihr sagt, trefft Ihr doch direkt in die Herzen der Menschen. Es spricht sich herum; alle wollen Eure Predigt hören. Die Kirche kann sie kaum noch fassen, so viele sind es inzwischen geworden.« Er räusperte sich. »Soll ich mich also auf die Suche nach einem neuen Schneider machen?«
»Genug davon! Ich hab mich um Wichtigeres zu sorgen als um solchen Tand«, herrschte Förner ihn an. »Nimm das Ding, und trag es irgendwohin. Und jetzt lass mich allein. Ich habe vor dem Essen noch zu arbeiten.«
Gabriel Hofmeister öffnete die Truhe und nahm eine der zerschlissenen Soutanen heraus.
»Und wie viele soll ich machen lassen, Monsignore?«
»Was weiß ich? Drei, fünf – genügend jedenfalls, dass ich für lange Zeit nichts mehr davon hören muss! Sind die Blätter von Franciscus Agricola schon fertig kopiert?«
»Bis auf die letzten drei Seiten. Aber wenn Ihr wollt, kann ich natürlich …«
»Morgen reicht«, sagte Förner. »Bring sie nach der Morgenandacht vorbei.« Er berührte den Rosenkranz auf seiner Brust. Plötzlich war seine Stimme weicher. »Da war doch dieser Junge«, sagte er unvermittelt. »Hast du den auch gehört?«
»Den Kleinen mit der großen Stimme? Natürlich. Wie ein himmlischer Gruß hat sein Lied geklungen.«
»Du kennst ihn? Wer ist er?«
»Das weiß ich nicht, aber gesehen hab ich ihn schon oft. Er bettelt häufig auf den Domstufen. Singt fromme Lieder und hält danach die Hand auf. Sicherlich ein einträgliches Geschäft, bei seiner Stimme.«
»Ich möchte, dass du ihn suchst«, sagte Förner. »Bring mir die kleine Lerche!«
»Soll er für Euch singen? Oder wollt Ihr ihn wegen seines Bettelns zur Rede stellen?«
»Das lass nur meine Sorge sein.« Der Weihbischof wirkte plötzlich müde. »Und richte Apollonia aus, dass ich es mir anders überlegt habe. Kein Mittagessen. Ich werde bis zum Abend fasten.«
Endlich war sie mit Veit allein.
Simon hatte sich noch einmal in die Werkstatt gesetzt, um seinen Zeichnungen den letzten Schliff zu geben. Selina war nach dem Abendessen ins Bett gegangen, blass und stumm. Etwas musste sie in der Kirche aufgeregt haben, das hatte Marie gespürt, aber das Mädchen gab ihr keine Gelegenheit herauszufinden, was es war. Ein paar Tage hatte Selina sich auffallend viel im Haus aufgehalten, bis sie irgendwann ihre Streifzüge wieder aufgenommen hatte. Nicht einmal jetzt konnte Marie sicher sein, dass sie sich wirklich in ihrer Kammer aufhielt. Der wilde Wein, der sich auf der Hofseite am Haus emporrankte, war eine willkommene Leiter für ein Mädchen, das am liebsten eigene Wege ging.
Heute hatte Marie mit Kerzen nicht gegeizt. Drei dicke brannten in dem Kandelaber, der auf dem Tisch stand; zwei weitere leuchteten am Fenster, zwei auf der Truhe. Sogar die in den beiden Wandleuchtern hatte sie angezündet, aus dem Bedürfnis, keine Regung in Veits Gesicht zu verpassen.
Wenigstens hatte er heute ordentlich
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