Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
stehlen und verderben die Früchte des Feldes«, fuhr er fort, als der Frau nichts weiter zu sagen einfiel.
    Gleich zwei Frauen auf einmal sprangen auf, um seine Worte zu bestätigen.
    »Mein ganzes Korn ist faul«, jammerte die eine. »Jetzt müssen meine Kinder Hunger leiden!«
    »Mir ist die Kuh krepiert«, fiel die andere ein. »Meine einzige. Aber ich kenne die Schuldige – büßen soll sie es mir!«
    »Sie machen Frauen unfruchtbar durch teuflische Zauberei.«
    Marie spürte Förners Stimme wie ein Messer in ihrem Bauch. Und wenn es wirklich jemanden gab, einen Feind , wie Agnes Pacher gemutmaßt hatte, der ihnen das alles angetan hatte? Selinas Taubheit, ihre eigene Unfruchtbarkeit, Veits Gichtanfall, der ihm so zugesetzt hatte, und nun auch noch die neuerliche Angst um das Schicksal der Krippe …
    Ihre Eingeweide krampften sich zusammen. Sollte sie aufstehen und Zeugnis ablegen, wie die anderen Frauen, die inzwischen wieder auf ihren Bänken saßen? Forderte er sie nicht geradezu auf?
    Sie tat es nicht. Aber ihr Atem ging schneller, und sie begann zu schwitzen. Von drüben starrte sie jemand an. Marie musste nicht einmal den Kopf bewegen, um zu wissen, dass es nur die Pacherin sein konnte.
    »Mit dem Finger müsst ihr auf sie zeigen! Niemand darf euren aufmerksamen Sinnen entgehen, damit sie alle ihrer gerechten Strafe zugeführt werden können. Denn büßen müssen sie – büßen und brennen! Keine Gnade darf ihnen zuteil werden, bis sie all ihre Vergehen gestanden haben, auf dass die teuflische Saat nicht noch weiter aufgehe! Denn es sind viele Hexen heimlich unter uns, geliebte Brüder und Schwestern im Herrn, so unendlich viele …«
    Er sackte nach vorn, kraftlos, wie in Trance. Einen Augenblick sah es aus, als würde er vornüberstürzen.
    Alle Kehlen verbanden sich zu einem einzigen Schrei, der Förner in die Gegenwart zurückbrachte. Langsam erhob er sich, richtete sich auf, bis er schließlich wieder kerzengerade auf der Kanzel stand, asketisch, unerbittlich.
    »Es kann dein Nachbar sein. Dein Freund. Deine Nichte – sogar dein eigenes Kind. Seid mutig, reißt ihnen die Maske vom Gesicht! Denn Jesus Christus spricht: ›Nur wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.‹«
    Sein Donnern drang bis in den letzten Winkel der Kirche.
    »Nur durch ihren Tod kann die ewige Verdammnis Unschuldiger vermieden werden. Nur so wird endlich wieder Frieden einkehren in unsere Stadt, unser schönes Bamberg, Bamberga beata  …«
    Nach dem Segen ertönte Orgelspiel. Es dauerte eine Weile, bis die Stimmen der Gläubigen das Kirchenschiff erfüllten, so verzagt klangen sie zunächst. Der ideale Hintergrund für einen klaren Knabensopran, der erst mit der zweiten Strophe einsetzte, dann aber mühelos an Höhe gewann. Alles lag in ihm, wonach die Menschen sich jetzt sehnten – Freude, Reinheit, Zuversicht.
    Woher kam er?
    Toni sang aus voller Brust. Die Nonnen hatten ihm das Lied beigebracht. Sich die Worte zu merken war nicht weiter schwierig gewesen. Und die Melodie strömte ohnehin aus seinem Innersten, wie all die anderen, die er in sich trug, sobald er sie einmal gehört hatte.
    »Allein Gott in der Höh sei Ehr …«
    Die Köpfe flogen herum. Und irgendwann hatte jeder in St. Martin kapiert, dass es ein kleiner, schmutziger Bettlerjunge war, der so schön wie ein Engel sang.

    « Ihr wart großartig, Monsignore. Eindrucksvoll. Gewaltig. Ihr habt ihnen ordentlich Angst eingeflößt.«
    Geschickt lösten Gabriel Hofmeisters Hände das Zingulum, das das weiße Unterkleid zusammenhielt, für den Weihbischof um vieles angenehmer als die groben Pranken des Küsters. Nicht einmal die Berührung seiner bloßen Haut empfand Förner als peinlich, so kühl und unaufdringlich war sie.
    Er fühlte sich leicht, beinahe schwebend, als hätte die Glut seiner Predigt auch seinen Körper gereinigt. Und es war still in ihm – endlich. Einer jener raren Augenblicke, bevor die gewohnten Sorgen und Nöte ihn wieder plagten. Leider kam ihm viel zu schnell das widerliche graue Katzenvieh in den Sinn, das vorhin neben dem Kirchenportal gesessen und ihn frech mit gelben Augen angestarrt hatte. Ja, sie waren überall, er wusste es, aber sein Kampf gegen die Unholde war bereits in vollem Gang!
    »Sie sollen Angst haben«, sagte der Weihbischof und legte den schmalen Gürtel auf die Truhe. »Sie haben allen Grund dazu. Sie werden noch lernen, sich richtig zu fürchten. Dreh dich jetzt

Weitere Kostenlose Bücher