Die Hüterin der Quelle
gegessen, nicht wie sonst in letzter Zeit in allem nur mäkelig herumgestochert. Er brauchte seine Kraft, jetzt, wo er mehr als je zuvor arbeitete. »Der Mann macht mir Angst«, sagte sie nach einer langen Gesprächspause. »Förners Worte bohren sich tief in dich hinein, ohne dass du es willst. Und dort beginnen sie zu wirken. Du merkst es zunächst nicht einmal. Aber plötzlich bist du bereit zu tun, was er verlangt.«
»Du willst also Druten jagen?« Veit sah sie überrascht an, und zum ersten Mal seit langer Zeit funkelte etwas von der früheren Spottlust in seinen Augen. »Wo willst du sie denn finden – hier vielleicht?«
»Unsinn«, sagte Marie. »Aber er stellt es sehr geschickt an. Und er erreicht viele damit. Die meisten, würde ich behaupten. Jene Frauen, die plötzlich wie entrückt aufgesprungen sind, mitten in seiner Predigt, die wären bereit gewesen, auf der Stelle jeden anzuzeigen.«
Sie verriet ihm nichts über ihre eigenen Gedanken und Empfindungen während der Predigt, für die sie sich inzwischen schämte. Es gab keine Feinde . Alles, was die Pacherin gesagt hatte, war nichts als törichtes Geplapper. Ihre Abneigung gegen die Frau des Holzhändlers wuchs. Beim nächsten Mal würde sie einfach nicht mehr zuhören. Oder, noch besser, zu verhindern wissen, dass es ein nächstes Mal überhaupt gab.
»Die Angst in der Stadt wächst. Ich spüre es, obwohl ich nur noch selten vor die Türe komme. Die Menschen verändern sich. Ihre Blicke, ihre Gesten. Also ob ihnen jemand im Nacken säße. Man müsste Förner Einhalt gebieten. Aber ich weiß nicht, wie! Ich hab sogar schon daran gedacht, mit dem Fürstbischof darüber zu reden. Doch würde er mir überhaupt zuhören? Ich bin nur ein Holzbildhauer, kein Theologe. Und genau das würde er mir vermutlich sagen.«
Er begann seinen Hals zu reiben, als ob er den Druck, von dem er eben gesprochen hatte, selber spüre.
»Manchmal denke ich, es war ein Fehler, nach Bamberg zurückzukommen«, sagte er unvermittelt. »Wir hätten im Süden bleiben sollen. Dann wäre Selina vielleicht nicht krank geworden. Simon hätte längst eine hübsche Neapolitanerin zur Frau und ich …«
»Und du hättest mich nie kennen gelernt«, sagte Marie. »Wärst du dann zufriedener?«
»Das darfst du nicht einmal denken!«
»Aber ich tue es«, sagte sie. »Und ich tue es immer öfter in letzter Zeit.« Sie verriet ihm nicht, dass dabei auch Adams Bild wieder lebendiger wurde. Sein Gang. Die Art, wie er gelacht hatte. Ob sie mit ihm glücklicher geworden wäre, wenn er sich nicht für die Kirche entschieden hätte? Manchmal machte sein Verrat sie noch immer bitter. »Was ist es, was uns trennt, Veit? Sag es mir. Jede Wahrheit ist mir lieber als diese lähmende Ungewissheit.«
»Ich bin krank«, sagte er heftig. »Das ist es. Und ich spüre, wie ich alt werde. Alles ist auf einmal so begrenzt, so endlich, Marie. Als ob der Tod schon an der Schwelle lauere. Ich hasse dieses Gefühl. Aber ich bin ohnmächtig dagegen.« Er sah so ernst dabei aus, so zerfurcht, dass es sie anrührte.
»Wäre es nicht besser, die Sorgen zu teilen?«, sagte sie. »Für uns beide? Wieso sprichst du nicht mit mir?«
»Ich will dich nicht mit allem belasten.«
»Fang doch wenigstens mal damit an. Dann wirst du schon sehen, wie belastbar ich bin.«
»Also gut, wenn du unbedingt willst!« Er strich sich das Haar aus der Stirn. Sie sah das Silber darin aufschimmern, das mehr geworden war in den letzten Wochen und Monaten, und das machte ihn in ihren Augen noch begehrenswerter. »Kein Fehler darf uns unterlaufen. Schon ein einziger kann zu viel sein. Tag und Nacht grüble ich darüber nach, wie wir es am besten anstellen. Die Audienz beim Fürstbischof wird alles entscheiden. Gefallen ihm unsere Entwürfe nicht, wird er uns fallen lassen.«
»Aber sie sind wunderschön!«, rief Marie. »Du musst dir keine Sorgen machen, Liebster! Simons Zeichnungen werden ihn bestimmt überzeugen. Und was die Gicht betrifft …«
Sie stand auf, ging zu ihm und setzte sich nach kurzem Zögern auf seinen Schoß. Er blieb ganz unbewegt zunächst. Nach einer Weile schlang er die Arme um sie und zog sie enger an sich.
»Du riechst gut.« Er vergrub sein Gesicht in ihrem Mieder. »Nach Zimt, nach Vanille – und nach Marie. Ich hatte es fast schon vergessen.«
»Das hab ich gemerkt.« Sie lächelte. »Und es hat mir überhaupt nicht gefallen. Vergiss deine Gicht! Du wirst wieder gesund, mein Liebster. Ich weiß es!
Weitere Kostenlose Bücher