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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Fischer hinter sich ließ und weiter am Fluss entlangging. Die Schwalben flogen tief, Mücken umschwirrten sie. Es dämmerte, obwohl es erst früher Nachmittag war. In der Ferne hörte man das erste Grollen eines Gewitters, aber selbst das hatte Agnes nicht von ihrem Vorhaben abbringen können. Es war schwierig genug gewesen, aus dem Haus zu kommen. Manchmal kam es ihr vor, als bewache Harlan sie wie ein fetter, eifersüchtiger Molch. Sie hatte lügen müssen, und ob er die Ausrede, sie müsse dringend nach der kranken Tante sehen, glaubte, war zweifelhaft.
    Egal. Sie war beinahe am Ziel angelangt. Es gab viel Gerede über die Otterfrau, seit langem schon. Jetzt würde Agnes selber ausprobieren, ob sie etwas taugte. Neben dem Haus wuchs ein großer Hollerbaum. Obwohl er kaum Blätter trug, hing er voller schwarzer Beeren. Vielleicht würden einige von ihnen in die Hexenmedizin wandern, die sie sich erhoffte.
    Die Haustüre war nur angelehnt. Agnes klopfte und trat, ohne eine Aufforderung abzuwarten, ein. Die Stube war geräumig und aufgeräumt. Über dem Ofen entdeckte Agnes eine straff gespannte Leine, an der zahlreiche Kräuterbüschel zum Trocknen hingen.
    »Ist niemand zu Hause?«, rief sie. »Hier ist Kundschaft!«
    Erst blieb alles ruhig. Dann hörte sie auf der Treppe, die nach oben führte, leise Tritte. Ein kleines Mädchen stand im Türrahmen, blass, mit hellblonden Stoppeln. In der Hand hielt sie ein rotes Häubchen. Auf ihrer mageren Brust baumelte ein Rosenkranz. Sie hatte dunkle Flecken am Hals und starrte die Besucherin wortlos an.
    »Wo ist deine Mutter?«, sagte Agnes. Kein Mensch hatte ihr verraten, dass die Otterfrau ein Kind hatte!
    »Im Himmel.« Lenchen zupfte an ihrem Hemd. »Sie wartet dort auf mich.«
    »Tot ist sie? Seit wann? Bist du deshalb kahl geschoren?« Agnes wollte zu ihr, aber ein Knurren aus der Ecke ließ sie innehalten. »Was ist das denn?« Entsetzt starrte sie auf den Otter.
    »Das? Das ist Reka.« Die Kleine klang plötzlich vergnügt. »Er kann sehr lieb sein, aber jetzt ist er böse. Schau mal, er ist schon aufgestanden. Und sein Fell ist ganz dick!«
    »Reka!« Sein Knurren verstummte sofort. »In die Ecke mit dir, aber schnell! Und du gehörst ins Bett, kleines Fräulein.«
    Ava stellte den Korb mit den geräucherten Fischen auf den Tisch und wandte sich an Agnes.
    »Kann gefährlich werden, hier unangemeldet hereinzuplatzen«, sagte sie. »Reka ist besser als jeder Wachhund. Was willst du?«
    »Also, tot bist du schon mal nicht«, sagte Agnes. »Das ist gut. Ich wollte nicht stören. Ich wollte nur …«
    »Fische? Die kommen gerade frisch aus dem Ofen. Morgen verkaufe ich sie auf dem Markt. Wieso sollte ich tot sein?«
    »Hat die Kleine behauptet. Ich bin nicht wegen deiner Fische hier. Das ist es nicht.«
    »Was ist es dann?«
    Lenchen machte keine Anstalten, nach oben zu gehen, sondern saß auf einer Stufe und schien jedes Wort, das zwischen den beiden Frauen fiel, geradezu einzusaugen.
    »Wegen eines Anliegens – eines sehr persönlichen Anliegens. Können wir nicht einen Augenblick allein sprechen? Ich möchte nicht, dass deine Tochter zuhört.«
    Ava lachte. Aus einem Krug goss sie sich Wasser über die Hände und griff dann nach einem Leinentuch, um sie abzutrocknen.
    »Ab ins Bett«, sagte sie, und dieses Mal gehorchte das Mädchen und verzog sich nach oben. »Sie ist nicht meine Tochter«, sagte sie. »Ich pflege sie nur.« Ihr Mund wurde spöttisch. »Aber Reka kann bleiben, ja?«
    »Ja«, sagte Agnes, leicht verwirrt. »Nicht deine Tochter? Solange er mir nichts antut …«
    »Das hängt ganz allein von dir ab«, sagte Ava und lachte wieder. »Also?«
    »Es geht um einen Mann.« Agnes befeuchtete ihre Lippen. Ihre Kehle war plötzlich sehr trocken. »Er …«
    »… liebt dich nicht mehr, und das willst du ändern«, ergänzte Ava.
    »Ja, so ungefähr. Aber woher weißt du das?«
    »Weil die meisten Frauen aus diesem Grund kommen«, sagte Ava. »Abgesehen von denen, die nicht schwanger werden können. Und denen, die es um keinen Preis der Welt bleiben wollen.«
    Sie nahm die Fische aus dem Korb und begann sie auf dem Tisch zu sortieren, konzentriert, als hätte sie ganz vergessen, dass Agnes gegenübersaß.
    »Das will ich auch. Nicht mehr schwanger werden. Ich hab schon drei. Mehr als genug in meinen Augen. Auch wenn mein Mann am liebsten einen ganzen Stall voll hätte. Dagegen lässt sich doch was machen, oder? Ich hab von Abkochungen gehört. Und von

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