Die Hüterin der Quelle
Weihbischof nähen.« Gabriel wandte angeekelt den Kopf ab. »Was immer es war, Ihr habt ihn so aufgebracht, dass er nichts mehr von Euch wissen will.«
»Aber das kann nicht sein!«
»Nicht einmal Euren Namen darf man in seiner Gegenwart erwähnen. Und jetzt lasst mich gehen! Ich bin in Eile.«
»Es gibt keinen Grund, mich derart zu behandeln.« Mühsam um Fassung bemüht, reckte Eichler seinen mageren Hals. »Niemals hab ich dem Weihbischof Anlass zur Klage gegeben.«
»Ich bin nicht hier, um mit Euch zu streiten. Was ich suche, ist ein guter Schneider. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Aber Ihr werdet keinen besseren finden. Nirgendwo.« Er streckte ihm seine dünnen, zerstochenen Finger entgegen. »Nächtelang hab ich für ihn gestichelt. Für einen Hungerlohn, schon damals. Und selbst, als es vorbei war – hab ich in all der Zeit jemals einem Menschen etwas gesagt? Niemals! Nicht ein Wort ist über meine Lippen gekommen. Dabei hätte ich Gründe genug gehabt, alles zu verraten …«
Gabriel Hofmeister machte sich los. Mit seinen langen Beinen war es keine Schwierigkeit für ihn, Eichler hinter sich zu lassen.
Er lief, bis die Straße eine Biegung machte.
Als er neben einer Einfahrt das verblasste Blau einer aufgemalten Schere an der Hauswand entdeckte, dankte er dem Erzengel, dessen Namen er tragen durfte, und trat schnell ein.
Im Licht der flackernden Fackeln war die Verständigung mit Selina schwieriger als draußen. Außerdem waren die Gänge eng, und aus Gründen, die er sich nicht recht erklären konnte, blieb sie immer wieder weit hinter ihm zurück. Sie zu rufen, machte keinen Sinn; Pankraz Haller musste ein paarmal zurückgehen und nach ihr suchen.
Er entdeckte sie schließlich an einer Abzweigung, wo die erst kürzlich wieder zugänglich gemachten Stollen auf einen alten Gang trafen. Er trat zu ihr, hielt das Licht ganz nah an sein Gesicht.
»Wenn wir derart langsam weitergehen, sind wir morgen früh noch hier unten.« Er bewegte den Mund sehr stark, damit sie ihn verstehen konnte. »Sind wir beide Schnecken, Selina? Ich glaube, doch eher nein!«
Selina kicherte.
»Du musst dich nicht so anstrengen«, sagte sie. »Ich kann sehr gut von deinen Lippen lesen. Außerdem siehst du aus wie ein Frosch, wenn du so übertrieben redest. Von mir aus können wir gerne die Welt draußen lassen und für immer hier unten bleiben.« Sie drehte sich um, deutete in das Dunkel. »Was ist das denn, das dort hinten?«
»Fässer.«
»Wieso sind sie nicht bei den anderen?«
»Ich möchte, dass das Bier an verschiedenen Stellen lagert – und damit unterschiedlich reift«, sagte er. »Nur so kann ich herausfinden, ob sich der Geschmack verändert.«
»Viele Fässer?«
»Eine ganze Menge. Für eine durstige Kompanie würde es schon reichen.« Er lächelte. »So viele Fragen, Selina. Du bist wirklich neugierig! Ich hatte gedacht, du willst vor allem wissen, wie mein Bier gemacht wird.«
»Will ich doch auch. Aber erst, wenn ich mich hier unten gründlich umgesehen habe.« Mit der Fackel in der Hand war sie schon wieder auf und davon.
Georg Schneider, den er aufgefordert hatte mitzukommen, gab ein Brummen von sich.
»So ein verwöhntes kleines Balg! Wäre das meine Tochter, ich würde sie schon lehren, was sich gehört!«
»Sie ist Maries Stieftochter, und du wirst tun, worum ich dich gebeten habe. Schließlich machen wir das nicht alle Tage.«
»Einmal ist schon zu viel.« Schneiders Gesicht wurde immer verdrießlicher. »Und das, wo jede Menge Arbeit wartet!«
»Es geht immer weiter, dort hinten!« Selina war wieder bei ihnen angelangt, erhitzt, übermütig. Sie musste irgendwo herumgestochert haben. Ihre Ärmel waren schmutzig, und auf ihrer Nase prangte ein Rußfleck. »Wohin führt dieser lange Wurm, nonno ?«
»Zu einem anderen Ausgang«, sagte Pankraz. »Etwas weiter unten am Berg. Früher haben wir ihn ständig benutzt, aber inzwischen sind die Fässer zu groß dafür. Außerdem ist einer der Stollen nicht mehr sicher. Es gab Steinschlag, ohne jede Vorwarnung. Einer der Gesellen ist schon einmal verschüttet worden.«
Selina machte ein erschrockenes Gesicht.
»Du musst keine Angst haben«, sagte er schnell. »Das ist schon länger her. Hier oben kann uns nichts passieren. Überleg doch mal: Hätte ich dich sonst mitgenommen?«
»Hat er überlebt?«, fragte sie.
»Hat er.« Sie fuhr erst zu Schneider herum, als er ihren Arm streifte. Zum ersten Mal, seit sie hier unten waren, richtete er
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