Die Hüterin der Quelle
Ort, der all diese Voraussetzungen erfüllte. Den Schlüssel dazu besaß Pankraz Haller.
Wenn sie es schaffte, ihn an sich zu bringen, konnte sie unbemerkt zurück in den Felsenkeller – so oft sie wollte.
Zweites Buch
Weißer Mond
FÜNF
S imon hatte Bamberg verlassen. Er war unterwegs nach Italien, auf einer Stute, die sie nach zähen Verhandlungen auf dem Viehmarkt zu Zeil gekauft hatten. Veit Sternen glaubte zwar, entschieden zu viel für das Pferd bezahlt zu haben, während Marie, die sich gleich beim ersten Anblick in das Tier mit dem rotbraunen Fell und der blonden Mähne verliebt hatte, den Preis für durchaus angemessen hielt.
»Ich bin überzeugt, dass sie ihn sicher über die Alpen und wieder zu uns zurück bringen wird. Lucie hat Erfahrung und ein sanftes Wesen, sie ist kräftig und gesund. Und man kann sie als Packpferd bestens verwenden.«
Angestrengt hatte sie es vermieden, auf die Reste des Scheiterhaufens am Rand des Marktplatzes zu schauen. Ein Pfahl ragte in den blauen Spätsommerhimmel, an dem sich ein Stück Sackleinen eingebrannt hatte. Trotz des sonnigen Wetters liefen ihr Kälteschauer über den Rücken. Nichts hatte sie auf diesen Anblick vorbereitet, nicht einmal die hässlichen Gerüchte, die in Bamberg inzwischen die Runde machten.
Offenbar hatte sich keiner bislang die Mühe gemacht aufzuräumen. Oder man hatte zur Abschreckung absichtlich alles so belassen. Zwei Frauen hatten hier den Tod gefunden, an zwei aufeinander folgenden Tagen, eine betagte Großmutter die erste, ein blutjunges Ding die andere. Gestorben aber waren sie verblüffend ähnlich. Ganz Zeil redete noch im Flüsterton davon. Die beiden hatten ihre Unschuld beteuert und schreiend alles widerrufen, was man ihnen an Geständnissen unter der Folter abgepresst hatte. Unter Verwünschungen gegen ihre Peiniger waren sie in den Flammen erstickt.
»Da spricht die echte Kennerin! Und weshalb sollte uns der Viehjud bei deinen glänzenden Augen mit dem Preis auch weiter entgegenkommen?«
Marie reagierte zornig. »Ich bin mit Vaters Pferden aufgewachsen und schon als Mädchen geritten. Außerdem kenne ich mich mit Geschäften aus. Stell dir vor, Veit, nicht nur du hattest ein Leben vor mir!«
Er schwieg, wieder einmal, und Marie wünschte, sie hätte weniger heftig gesprochen. Aber in letzter Zeit verlor sie rasch die Fassung. Vielleicht lag es daran, dass sie befürchtete, Veit immer weniger zu erreichen. Seit er allein arbeitete, schien er mehr in der Werkstatt zu leben als zu Hause. Manchmal fiel er erst neben ihr ins Bett, wenn sich das Morgenlicht schon zeigte, und blieb auch den ganzen Tag über tief in Gedanken versunken.
Doch selbst wenn sie zusammen waren, überkam sie oftmals ein Gefühl der Leere. Dann war es, als nage ein Giftzahn an der kostbaren Eischale, die ihre Welt umschlossen hielt. Die Risse, die längst entstanden waren, spürte sie körperlich. Veit redete mit ihr, er berührte sie, aber wo war dabei sein Kopf?
Und wo vor allem sein Herz?
Konnte sein Verhalten doch etwas zu tun haben mit jener Ava, die der Stoffhändler erwähnt hatte? Marie verwarf den Gedanken wieder, obwohl dieser Name auf seltsame Weise in ihrem Gedächtnis haften geblieben war. Veit hatte bestritten, sie näher zu kennen. Außerdem hatte sich ihr Francescas Spottgesicht schon länger nicht mehr in der Stille der nächtlichen Kammer gezeigt.
Es nützte ohnehin nichts, weiter in Veit zu dringen. Offenkundig wollte er nicht verraten, was ihn so sehr beschäftigte, jedenfalls nicht ihr. Weder sprach er über seine Angst vor einem neuerlichen Gichtausbruch noch über seine Sorgen wegen der ungewissen Zukunft der Krippe. Eigentlich wusste sie nicht einmal, was bei der Präsentation in Schloss Geyerswörth genau passiert war. Auch Simon war nicht bereit gewesen, ihr eine zufrieden stellende Beschreibung zu geben, und so hatte Marie sich notgedrungen eine eigene Version der Ereignisse zurechtgezimmert.
Festzustehen schien, dass Weihbischof Förner gegen die Figuren der beiden gewettert hatte und den Fürstbischof damit angesteckt haben musste. Dazu kam der Fackelmarsch gegen die Druten, der die angespannte Situation zusätzlich verschärfte. Und es war wohl erneut zu einem Streit zwischen Vater und Sohn gekommen, so Maries Mutmaßung.
Wie sonst ließe es sich erklären, dass Veit die ganze Nacht fortgeblieben war und erst am Vormittag hohläugig und ohne sein bestes Wams zurückkehrte, während Simon konsequent schwieg?
Am meisten
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