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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Verdickungen fühlen. Etwas wie Rührung überkam sie. Er hatte gelitten. Und er hatte sich dafür geschämt. Vielleicht war er deshalb so lang verschwunden gewesen.
    »Es gibt ein paar gute Mittel dagegen …«
    Veit berührte sanft ihren Mund.
    »Sag es nicht«, sagte er. »Deswegen bin ich nicht hier.« Er deutete zum dunklen Fluss, wo man Reka nur erahnen konnte.
    »Ach, das meinst du – Otterfett!« Ihr frisches Lachen hatte etwas Ansteckendes. »Das ist doch nur etwas für Abergläubische. Oder für Idioten. Gegen das Reißen hilft es kein bisschen. Aber es reicht als Vorwand dafür, diese wundervollen Geschöpfe zu jagen und zu töten.«
    Sie rückte ein Stück ab.
    »Was ist mit dir?«, sagte Veit.
    »Nichts. Ich muss mich nur erst daran gewöhnen. All die Zeit warst du nur in meinen Träumen – und jetzt bist du plötzlich da. Was ist geschehen? Es muss doch etwas passiert sein, was dich veranlasst hat zu kommen.«
    »Ja«, sagte er. »Eine ganze Menge. Aber das erzähle ich dir ein anderes Mal.«
    »Und was erzählst du mir heute?«
    Er zog sie an sich. Avas Wange rieb kurz an seinem Wams, sie öffnete die Lippen und sog seinen Geruch ein. Sie spürte, wie er über ihre Zunge rollte. Alles in ihr wurde weich. Ich sehne mich, dachte sie. Ich hatte vergessen, dass ich mich so sehr nach ihm sehne.
    »Du musst mit mir schwimmen«, murmelte sie.
    »Ja«, sagte Veit. »Ganz bestimmt. Aber nicht heute Nacht. Komm – wir haben schon so viel Zeit verloren!«
    Er zog sie hoch. Sie machte sich schwer, aber es schien ihn nicht zu stören. Es tat gut, sich an ihn zu lehnen.
    »Du kennst mich doch gar nicht«, sagte sie. »Du weißt nichts von mir.«
    »Genau das versuche ich gerade zu ändern.« Seine Hände waren auf ihrem Hintern, ihrem Rücken, ihren Hüften. Dann spürte sie den Druck seiner Hand im Nacken.
    Er küsste sie. Seine Lippen waren warm und fest. »Du bist nicht der Einzige«, sagte Ava. »Das solltest du wissen. Es gibt andere. Besonders einen …«
    »Was spielt das jetzt für eine Rolle?« Veit hielt sie fest umschlungen. »Was zählt, ist der Augenblick. So lange will ich schon bei dir sein. Und endlich bin ich es!«
    Sie küssten sich wieder. Innig, vertrauter. Als seien beide nach einer langen Reise zu Hause angekommen.
    Plötzlich spürte Ava ein leichtes Zupfen an ihrem Kleid. Zuerst glaubte sie, sie habe es sich nur eingebildet, aber es kam wieder, ungeduldiger. Fester.
    Sie löste sich von Veit. Mit großen Augen sah Lenchen zu ihnen auf.
    »Ich bin allein.« Die Unterlippe zitterte. »Und ihr seid zu zweit. Ich hab so viel weinen müssen. Aber jetzt will ich nicht länger traurig sein!«
    Sie brachen im gleichen Augenblick in Lachen aus.
    »Dann komm!«, sagte Ava, gab die eine Hand Lenchen und die andere Veit. Das Mädchen schien plötzlich zu zögern, dann aber drückte sie sich Schutz suchend gegen Avas Knie. »Komm mit, ins Haus! Heute Nacht wird nicht mehr geweint, meine Kleine!«

    Selinas Kehle brannte, und sie musste sich ans Buschwerk klammern, um einen Halt zu spüren.
    Das also war das Geheimnis der Otterfrau!
    Lenz’ Worte, die sie so harmlos von seinen Lippen gelesen hatte, klangen auf einmal höhnisch in ihrem tauben Ohr. Er hatte längst Bescheid gewusst.
    Lenchen ist wie ihr Kind.
    Lenchen war ihr Kind. Und Veit Sternen der passende Vater dazu!
    Deshalb war er so oft nicht zu Hause. Deshalb gab es noch keine Stiefgeschwister im Hause Sternen – weil längst schon ein Bastard im roten Häubchen in der Stadt herumlief!
    Lenchens Alter stimmte. Und alles andere fügte sich plötzlich ineinander wie Steinchen in einem Mosaik. Wie hatte sie nur so lange blind sein können?
    Wo die Dinge doch sonnenklar auf der Hand lagen!
    Plötzlich hatte Selina beinahe so etwas wie Mitleid mit Marie. Die Stiefmutter musste ahnungslos sein, sonst hätte sie sich die ganze Zeit über anders verhalten. Ahnungslos wie sie selber. Bis eben.
    Sie atmete heftig. Ihr Kopf war auf einmal so schwer, als wäre er mit Wasser gefüllt. Wie eine reife Melone, kurz vor dem Platzen. Dieser Verrat – das würde sie dem Vater heimzahlen! Und seiner Brut dazu! Er hatte bereits eine Tochter.
    Wozu in aller Welt brauchte er eine zweite?
    Sie sehnte sich nach Ruhe und Kühle. Nach einem Platz, der ihr ganz allein gehörte. Wo niemand sie stören konnte. Und sie all ihre Wünsche aufsteigen lassen konnte wie schillernde Seifenblasen – zusammen mit der ungeheuren Wut, die sie in sich spürte.
    Es gab einen

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